Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
Christi getrieben haben (indem sie die Kommunion im Zustand der Sünde empfangen hatten). Er führte ihnen das Bild des Gekreuzigten vor Augen und machte ihnen Vorwürfe wegen ihrer Undankbarkeit und ihrer Niedertracht. Wäre ich nicht Augenzeuge gewesen, hätte ich kaum glauben können, welche Wirkung diese Rede hatte. Sie warfen sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Einige schlugen sich auf die Brust, andere schlugen den Kopf auf die Steine, und alle weinten um Vergebung und die Gnade Gottes. In den Exzessen ihrer Pein beteuerten sie ihre Schuld. Sie trieben diese Exzesse so weit, dass der Priester fürchtete, sie könnten sich Schaden zufügen, und ihnen befahl, mit dem Gestöhn aufzuhören, damit er seine Ermahnungen beenden konnte. Aber er konnte sie nicht zum Schweigen bringen. Er musste selbst Tränen vergießen und konnte seine Predigt nicht zu Ende bringen.
    Kleine Szenen, Schnappschüsse.
    Es ist Nachmittag. John Wain ist da. Und Robert Conquest. Ein gemeinsamer Freund will heiraten. »Memento mori«, sagt Robert Conquest mit tragischer Stimme. Und John Wain sagt: »Eine Ehe kann wieder aufgelöst werden. Es ist nicht so, als bestellte man einen Sarg.«
    »Doch, das ist es«, sagt der gut aussehende Robert und mustert die anwesenden Frauen.
    Ich habe Hyazinthen in einer irdenen Schale, sie blühen noch nicht, trotzdem haben sie eine Ausstrahlung wie von einer Welt, die sehr weit von der lauten Wohnung und den vorüberdonnernden Lastwagen entfernt ist. Clancy steht da und starrt die Hyazinthen voller Entsetzen an. »Was ist los?«, frage ich. Er ist blass vor Abscheu. Ich versuche sie so zu sehen, wie er es tut, denn er sieht das Gewöhnliche oft als monströs oder verblüffend, und es gelingt mir, einen Blick auf etwas zu erhaschen, das aussieht wie eine grüne Alraune, die tanzen oder vielleicht sogar schreien könnte. »Das sind Hyazinthen«, sage ich entschlossen.
    »Stell sie irgendwohin, wo ich sie nicht sehen kann«, sagt er. Mir war noch nie jemand begegnet, der so sehr ein Produkt der »Stadt« war. (Später hat er sich auf dem Land wohlgefühlt.) Seither habe ich noch andere Leute dieser Art kennengelernt. Sie fühlen sich schon unglücklich, wenn sie in einem Park auch nur einen Schritt von einem geteerten Pfad auf Rasen tun. Manchmal zwinge ich mich stehen zu bleiben, meine normale Sicht der Dinge auszuschalten und mit neutralem Blick eine Wolkenformation zu betrachten, eine haarige Falte in einem Vorhang, das Licht, das auf ein Geländer fällt, Regentropfen, die wie Diamanten an einer Fensterscheibe hängen. Ich sehe die Dinge, wie ein Verrückter sie sehen würde, voller Drohungen oder ihrer Außerordentlichkeit wegen so einschüchternd, dass man sie abschalten und versuchen muss, zum normalen Denken zurückzukehren – und dennoch gibt es sehr viele Leute, die so leben, mit einem Klima des Bedrohtseins in ihrem Denken, das sich wie ein Scheinwerfer auf Wolken oder Falten oder das Glitzern kristallener Tropfen richtet, und sie können diesen Feinden nie entfliehen, die in ihnen stecken, sie begleiten sie, wo immer sie hingehen, selbst wenn sie Kontinente oder Meere überqueren, um ihnen zu entkommen. Meine Geschichte
Zwiegespräch
ist ein Versuch, dies darzustellen.
    Irgendwo habe ich einen Inder kennengelernt, der es sich in den Kopf gesetzt hat, dass ich ihn in meinem Leben brauche. Er erscheint vor meiner Tür und will unbedingt hereinkommen. Ich werfe ihn hinaus. Später wird mir klar, dass mir nie der Gedanke gekommen ist, dass ich »nett« zu ihm hätte sein müssen, weil er ein Mensch mit einer dunklen Haut war, während ich, gerade in London eingetroffen, voll kolonialer Schuldgefühle steckte. Mir ist klar, dass ich von den Sentimentalitäten der »Rassenschranke« kuriert bin, und darüber bin ich froh. (Die Rassenschranke – inzwischen ein Ausdruck,
gone with the wind
.)
    Eines Abends stand ich an meinem Küchenfenster und schaute hinunter, und da sah ich einen Mann, der über den hohen Holzzaun sprang und zu mir hochstarrte. Ich zog mich so weit zurück, dass er mich nicht mehr sehen konnte. Ich hatte ihn schon öfter bemerkt, beim Einkaufen, wo er mich beobachtete. Bauarbeiter hatten eine Bohle liegen lassen, und nun legte der Mann die Bohle auf ein paar Ziegelsteine, schräg aufwärts, ließ sich darauf nieder und fing an zu onanieren. Ich rief die Polizei an und sagte, da sei ein Mann in meinem Garten, und er belästige mich. Sie kamen, fanden eine Tür im Zaun. Einer

Weitere Kostenlose Bücher