Schritte im Schatten (German Edition)
sagte: »Hören Sie, mein Freund, was machen Sie da? So etwas dürfen Sie hier nicht tun.« Sie standen alle vier auf dem Pflaster, außer Sichtweite, aber ich hörte, wie einer der Polizisten sagte: »So, und jetzt verschwinden Sie, und tun Sie das nicht wieder.« Ich war beeindruckt von der Art, wie sie diese Sache handhabten.
Es gab ein England, von dem manche Leute sagen, dass es für immer dahingegangen, nirgendwo mehr zu finden sei – wie die Leser von
John O’London’s Weekly
, die eine literarische Kultur der Provinz ins Leben riefen. Kaum zu glauben, dass sie verschwunden ist.
Reynolds News
, eine sozialistische Sonntagszeitung, die von Labour-Anhängern, Gewerkschaftern, Sozialisten aller Art – aber meines Wissens nicht von Kommunisten – gelesen wurde, war ein anständiges, nicht gerade aufregendes Blatt ohne Skandale, dessen Leser unsere heutige verlogene Sensationspresse verabscheut hätten. Diese Zeitung veranstaltete ein Preisausschreiben für Leute, die Kurzgeschichten schrieben, und ich wurde gebeten, als Jurorin zu fungieren. Hunderte von Kurzgeschichten wurden eingesandt. Ich bekam die letzten vierzig zugeschickt. Sie hatten ein hohes Niveau in ihrer realistischen Schreibweise: Dickens, Hardy, A. E. Coppard, Somerset Maugham, Tschechow und Gorki waren ihre Vorläufer.
Die meisten Geschichten kamen mit einem Brief, in dem der Autor seine Probleme beschrieb. Dies war die Zeit der Vollbeschäftigung, und es gab noch keine Freizeitkultur. Für Leute, die mitunter verständnislose Familien, kleine Kinder oder lange Arbeitszeiten hatten, war es nicht leicht, die Zeit und einen Platz zum Schreiben zu finden. Einige sagten, sie hätten einen Roman geschrieben, ob ich ihn lesen würde? Ich las vielleicht dreißig. Ich hatte so etwas noch nie in größerem Rahmen getan und war verblüfft über ein Phänomen, von dem ich heute weiß, dass es weit verbreitet ist. Erstens, diese Romane waren alle
beinahe
gut. Alle Autoren – ich habe keinen kennengelernt, bei dem es anders war – machen ein Stadium durch, in dem das, was sie schreiben,
beinahe
gut ist: Dem Text fehlt noch eine Art Verinnerlichung, der Erzählstrom fließt noch nicht frei. Wir schreiben weiter, überlesen das Geschriebene, werfen weg, was nicht gut genug ist, und dann ist eines Tages etwas passiert, ein Prozess ist zum Abschluss gelangt; diese Klischees erscheinen hier, weil es sehr schwierig ist, zu sagen, was genau passiert ist. Aber der Prozess des Schreibens, Umschreibens und der Konzentration auf das Wesentliche hat endlich zum Erfolg geführt. Alle professionellen Schriftsteller kennen diese Lehrzeit. Amateure klammern sich an ihre ersten Entwürfe und wollen kein Wort daran ändern. Jeder einzelne der Romane, die mir zugeschickt worden waren, war das Werk eines begabten Menschen. Alle hätten umgearbeitet oder beiseitegelegt werden müssen, um einem neuen Versuch Platz zu machen. Es gibt etwas, das ich »Mein-Roman-Syndrom« nenne. Ein zu großer Teil des Autors ist in den Roman eingegangen, oft wurden Opfer gebracht, um die Zeit und den Platz zum Schreiben zu erübrigen, und danach ist das Produkt dieser Investition von Selbst und Zeit heilig; der Autor will es nicht loslassen, und es kann passieren, dass er es zehn Jahre lang allen möglichen Verlagen anbietet.
An jeden einzelnen dieser dreißig Autoren habe ich behutsame Briefe geschrieben und ihnen geraten: »Wenn Sie diesen Roman überarbeitet oder einen anderen geschrieben haben, dann schicken Sie ihn mir.« Von keinem einzigen habe ich je wieder etwas gehört. Da geht eine traurige Vergeudung von Talent vor sich. Aber die Dinge haben sich gebessert; es gibt Schreibkurse und -seminare, und vor allem ist es heute leichter, Zeit zum Schreiben zu finden.
Ich erinnere mich an diese Dinge, weil immer wieder betrübt die Frage gestellt wird: »Wo ist dieses England, dieses Großbritannien von damals geblieben?« All diese Geschichten, all diese Romane handelten von kleinen, vernünftigen, anständigen, hoffnungsvollen Leben, ohne jedes Bestreben, modisch oder sensationell zu sein. Als Richard Hoggart, der in so hohem Maße jenes Großbritannien repräsentierte,
Desert Island Discs
[23] machte, bekam er, wie er mir erzählte, dreiundsiebzig Briefe, alle von Leuten, die dieselbe Frage stellten. Irgendwo da draußen gibt es immer noch eine Aufrichtigkeit, eine Integrität – davon bin ich überzeugt –, und schon eine leichte Verschiebung unseres politischen
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