Schritte im Schatten (German Edition)
Faultiere, Skorpione, Menschenaffen und Chamäleons zu unterstützen, dass sie alle zu einem undefinierbaren Zoo-Liebling verschwommen sind.
Wir sprachen auch über Liebe, ich mit Widerstreben. Miles hatte mich sehr gern, aber das war keine Empfindung, der ich viel Mitgefühl entgegenbringen musste, denn Miles war in die Liebe verliebt. Er sagte, er sei ein Produkt der zwanziger Jahre: Er war emotional im Geist der freien Liebe erzogen worden und nach wie vor der Ansicht, dass dies die einzige Möglichkeit war, das Leben und die Liebe in den Griff zu bekommen. Miles sagte, er habe nie Eifersucht oder das Verlangen empfunden, eine Frau zu besitzen, aber leider fehle den Frauen die Großzügigkeit seiner eigenen Einstellung. Er meinte, man müsse der Frau, die man am meisten liebte, von der flüchtigen Neigung erzählen können, die ein bezauberndes Wochenende ausgefüllt habe, aber sein ganzes Leben, sagte er, sei immer eine Wiederholung dessen gewesen, was passiert sei, als er seiner ersten Frau – glaube ich, jedenfalls einer Ehefrau – überschwänglich von einem solchen Abenteuer erzählt und sie darauf gesagt habe: »Jetzt reichts’s aber. Raus!« Weshalb müssen Frauen so sein?, wollte er von mir wissen, und er erwartete tatsächlich eine Antwort. Er sagte, er sei überzeugt, dass es Liebe zwischen Mann und Frau – das heißt, wahre Liebe – nur auf der Basis völliger Offenheit geben könne. Aber Offenheit verursache Unglücklichsein. Nun ja, sagte ich, ähnliche Klagen hätte ich schon des Öfteren gehört, aber schließlich sei das das eigentliche, das schreckliche Grunddilemma der Liebe. Weshalb er denn glaube, dass er es würde lösen können, einfach so? Aber er glaubte es, er hatte immer noch die Hoffnung. Er sprach darüber mit einer Stimme, die erfüllt war vom tiefen Bedauern über ein ganzes Leben. Ich habe ihn in einer Geschichte mit dem Titel
Aus Gewohnheit lieben
porträtiert.
Auch mit Tom Maschler war ich oft zusammen. Er rannte in London herum und redete mit allen Leuten; wobei er stets auf Hochtouren lief. Man begegnet nicht oft Leuten wie ihm, die einem bewusst machen, wie langsam sich die eigenen Räder im Vergleich dazu drehen.
Der Journalist Murray Sayle gehörte zeitweise zu meinem Leben. Er wohnte ein Stück die Straße hinauf, am Notting Hill Gate, mit seiner Frau Tessa Sayle. Sie hatten sich in Paris kennengelernt, waren beide arm, wie seinerzeit alle Leute, und waren im richtigen Alter für diese Stadt gewesen. Sie war Österreicherin, aristokratisch, eine hübsche, lebhafte Frau, deren Haupteigenschaft damals Ordnungsliebe war. Sie war die ordentlichste Frau, die ich je gekannt habe, und nichts in ihrer Wohnung wich auch nur um einen Zentimeter von der rechten Stelle ab. Später, als sie sich teure Kleider leisten konnte, trennte sie sie auf und setzte sie ihren anspruchsvollen Maßstäben entsprechend wieder neu zusammen. Murray war Australier, umgänglich, leichtlebig und verschwenderisch mit seiner Zeit. Das war eine weitere dieser unmöglichen Ehen, und sie hatte keinen Bestand. Murray lebte in einem sich immer weiter entwickelnden, mit überlebensgroßen Fantasiefiguren bevölkerten Epos; eine davon hieß Shoulders Moresby. Später erfuhr ich, dass diese Figur tatsächlich existierte – und noch existiert –, und war enttäuscht. Manchmal hört man jahrelang vom Freund oder von der Freundin eines Freundes, bis er oder sie den vertrauten Charme einer Gestalt eines Volksmärchens besitzt, und das Letzte, was man dann hören möchte, ist, dass sie im ordinären Tageslicht lebt. Eine Szene in der Saga: Murray und seine Freunde beschlossen, ein Boot auf der Themse wiederherzustellen, um damit um die Welt zu segeln; sie verbrachten ein Jahr lang sämtliche Wochenenden und Ferien damit, sehr zur Missbilligung ihrer Frauen, versteht sich. Endlich brachen sie auf, begleitet von Champagner und Reden. Aber der Ärmelkanal war rau. Sie wurden alle seekrank, ein Risiko, an das keiner von ihnen gedacht hatte. Sie verließen das Boot in Cherbourg, wo es vielleicht heute noch liegt, und reisten heim, nicht auf dem Seeweg. Surreale Abenteuer dieser Art unterhielten Murrays Freunde jahrelang. Murray arbeitete für populäre Zeitungen, wie die
Sun
oder die
Daily Mail
. Eines Tages, nachdem er einen Skandal bis an seine äußersten Grenzen verfolgt hatte, saß er auf einer Parkbank, und da fiel es ihm, wie dem heiligen Paulus auf der Straße nach Damaskus, wie Schuppen von den Augen.
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