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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Pralinen und meine Bücher, wenn sie herauskamen.
    Lange Zeit, viele Jahre später kam mir der Gedanke, dass Tante Daisy auf diese indirekte Art angefragt hatte, ob sie bei mir leben könnte. Damals wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es sie danach verlangen könnte, ihr Leben mit einer undisziplinierten, atheistischen Roten zu verbringen. Sie konnte seit Jahren kein gutes Wort über mich gehört haben. Die Briefe meiner Mutter an sie müssen eine allwöchentliche Verurteilung dieser fürchterlichen Tochter gewesen sein. »Alles, was du tust, tust du
absichtlich
, um deinen Vater und mich so tief wie möglich zu verletzen.« Aber wenn Tante Daisy nicht bei mir leben wollte – was sollte dann das Ganze? Manchmal grüble ich darüber; in dieser Sache liegt etwas Verborgenes, Schmerzliches und Unmögliches, vielleicht die Geschichte zweier Schwestern, die einander sehr unähnlich waren, die ihr Leben voneinander getrennt verbrachten, von denen man aber erwartete, dass sie im Alter zusammenlebten und ihre winzigen Renten in einen Topf warfen.
     
    Jüngere Leute können sich heute nur schwer vorstellen, was für ein armes Land dies war in der Nachkriegszeit. Zwischen damals und heute liegen Jahrzehnte, in denen Geld in Bewegung geriet und alles rasch besser wurde, die Überflussgesellschaft entstand. Selbst arme Leute leben heute besser als damals ein Großteil der Mittelschicht. Es gab kaum Zentralheizung: Ganz Europa spottete über uns wegen unserer Einstellung dazu, denn irgendwo in einer Ecke der puritanischen Nationalseele steckt immer noch das Gefühl, ein Leben in Wärme und Behaglichkeit wäre Genusssucht. Wir hatten Gas- oder Elektroheizung, die durch Münzen eingeschaltet wurde, die man in einen Zähler steckte. Das bedeutete, dass die Leute von der Arbeit in eiskalte Wohnungen zurückkehrten. Kühlschränke waren gerade erst im Kommen. Ich hatte einen Speiseschrank an der Wand und kaufte Milch und Fleisch, wenn ich diese Dinge brauchte. Die meisten Fußböden bestanden aus gebeizten oder gestrichenen Dielenbrettern, auf denen Teppiche oder Matten lagen; Teppichböden waren noch sehr selten. Man konnte in ein Haus oder eine Wohnung gehen, wo gute, solide Möbel herumstanden, aber es gab keine Heizung, keinen Kühlschrank, die Küche war noch mit einem Porzellanbecken und hölzernen Abtropfbrettern ausgestattet, und unter herrlichen Teppichen lagen kalte Fußböden. Ein Großteil der Möbel stammte noch aus dem während des Krieges aufgelegten »Utility«-Programm. Während des Krieges waren Utility-Möbel und Utility-Kleider alles, was man neu kaufen konnte, und beides schien beweisen zu wollen, wie hässlich aus der Not Geborenes sein musste.
    Wenn man einen durchschnittlichen jungen Menschen in eine dieser ganz gewöhnlichen Behausungen von damals zurückversetzen könnte, was würde er dann sein? Vermutlich fassungslos. Der Komfort ist noch allzu neuen Datums: die Welt ihrer Großeltern, eine abgeschabte, kalte Zweckmäßigkeit.
    Keiner der Künstler oder Schriftsteller, die ich kannte, hatte Geld. Die Einstellung hat sich geändert: Heute verlangen junge Autoren übertrieben hohe Vorschüsse und sorgen sich um ihre Sicherheit. Wir empfanden Sorgen über das, was mit uns passieren würde, als beschämend und »bourgeois«. Vermutlich war es der Krieg, der den Glauben an eine sichere Existenz zerstörte. Es war keine Schande, arm zu sein oder in einer schäbigen Unterkunft zu hausen; all das war einfach kein Thema. Was mich angeht, kann ich versichern, dass ich mir gleichfalls um Geld keine Sorgen machte, denn ich wusste, dass letzten Endes alles ins Lot kommen würde; nur kurzfristige Geldverlegenheiten machten mir zu schaffen. Mein grundsätzlicher Optimismus, von dem ich glaube, dass er eine Sache der Nerven, etwas Körperliches ist – eine Veranlagung, ein Temperament –, war genau das, was die Situation erforderte. Ich wollte nicht reich werden, denn darum ging es nicht; ich wusste einfach, dass ich tat, was ich tun musste, nämlich schreiben. Und das bedeutete, dass ich mit meinen Ressourcen vorsichtig umgehen musste, um meine Zeit nicht mit Unnützem zu verschwenden, meine Energie nicht zu missbrauchen. Leicht gesagt, leicht geschrieben – aber dies ist die Krux und das Herzstück schriftstellerischer Arbeit. Wenn wir herumreisen, vorübergehend zu Rednern geworden sind, auf Podien stehen und kluge Dinge von uns geben, werden wir immer gefragt: Arbeiten Sie mit einem Computer, einem

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