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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Abendessen.«
    Peter fragte: »Müssen wir sie noch einmal besuchen?«
    Dass ich ihn zu den Tanten mitnahm, war Teil meines Versuchs, zumindest eine Andeutung, ein Gerüst von Familienleben zu bewahren. Aber jetzt hatten wir es hinter uns, und, nein, er brauchte sie nicht noch einmal zu besuchen.
    Die Schwestern zogen nach Salisbury (England) um, und ich besuchte sie dort. Ein weiteres kleines, altes Haus und ein Garten voller Bienen, Vögel und Schmetterlinge. Sie beschäftigten sich damit, in der Kathedrale Blumen zu arrangieren, und waren eifrig bemüht, die Fassade der Mittelschicht aufrechtzuerhalten, mit Mahlzeiten den ganzen Tag über und guten Werken, denn sie besuchten die Armen mit aufmunternden Worten und kleinen Geschenken, bestehend aus selbst gebackenen Kuchen und Süßigkeiten. Dann schrieb Tante Daisy, sie werde nach London kommen, um den Tag mit mir zu verbringen. Ich konnte nicht von ihr verlangen, dass sie die steile Treppe zu meiner Wohnung hinaufstieg, also führte ich sie zum Lunch aus, aber es war damals schwer, die Art von Restaurant zu finden, an die sie gewöhnt war, mit anständigem englischem Essen. Die gab es in Provinzstädten in ganz England, aber nicht in London. Ich ging mit ihr in Derry & Tom’s Dachgarten. Anschließend gingen wir Tee trinken. Dann bat mich Tante Daisy unvermutet um meine Hilfe bei der Übersiedlung in ein gutes Altersheim. Ich war so verblüfft, so fassungslos, dass ich stumm und wie gelähmt dasaß. Es ist sehr nützlich, sich an so etwas zu erinnern, denn wenn man älter wird und sich in allen möglichen Dingen auskennt, vergisst man, dass das nicht immer der Fall war. Wenn heute jemand zu mir sagen würde: Bitte, bring mich in einem Heim unter, dann wüsste ich, was ich zu tun hätte, aber damals war es so, als hätte sie von mir verlangt, ich solle sie in einer Schubkarre von Land’s End nach John o’ Groats schieben. Selbst noch weit davon entfernt, wirklich in London angekommen zu sein, war ich von dem Leben in diesem Moloch Stadt zutiefst verunsichert – zumindest hatte ich das Gefühl. Eine gewaltige Bestürzung ergriff von mir Besitz, eine Müdigkeit, und diese Müdigkeit war mein Feind, denn in einem so großen Teil meines Lebens tat ich nicht das, was ich gern getan oder was mir Spaß gemacht hätte. Wie war es möglich, dass Tante Daisy, die seit meiner Geburt an meinem Leben Anteil genommen hatte, nicht begriff, dass sie von mir zu viel verlangte? Außerdem – wieso brauchte diese Frau, die ihr gesamtes Leben in London verbracht hatte und den größten Teil davon in etwas, das wir heute »die pflegerischen Berufe« nennen, diese Art Hilfe von mir? Und was war mit Evelyn? Warum verbrachten die beiden ihre alten Tage nicht gemeinsam? Denn meine Einstellung war noch die allgemein übliche – die bequeme: »Hier sind zwei alte Damen, wie schön für sie, dass sie zusammenleben können.« (Und sich umeinander kümmern, damit ich es nicht tun muss.) Aber vielleicht kommen sie nicht miteinander zurecht? Vielleicht konnten Daisy und Evelyn, diese Schwestern, die so wenig voneinander gesehen hatten, da die eine fast ihr gesamtes Erwachsenenleben in Japan verbracht hatte, einander nicht ausstehen?
    Ich saß da, stumm, und wusste, dass ich ein Double für meine tüchtige und tatkräftige Mutter Maude McVeagh war, und ich dachte, dass in dieser Bitte der Kernpunkt des Verhältnisses zwischen diesen beiden Frauen zutage trat. Meine Mutter war die dominierende Persönlichkeit gewesen, die stets kompetente, aber sie war nach Rhodesien zurückgekehrt, und hier war nun ihre Tochter, die Patentochter, und eine erfolgreiche Schriftstellerin obendrein, und deshalb würde sie die Sache genauso in die Hand nehmen, wie Maude es getan hätte.
    Und nun sagte ich zu ihr, platzte heraus mit nicht nur schockierter, sondern geradezu ungläubiger Stimme, die besagte, wie kannst du das von mir verlangen, wo ich doch ohnehin schon so viel um die Ohren habe: »Es tut mir sehr leid, Tante Daisy. Das kann ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen müsste.«
    Kurz darauf schrieb sie mir, dass sie in das Heim Soundso ziehen werde, aber ich weiß nicht, was aus Evelyn geworden ist. Ich habe keine von beiden wiedergesehen, aber Tante Daisy schickte mir Weihnachtsgeschenke, wie sie es getan hatte, als ich noch ein Kind war; eine Postanweisung über vielleicht zwei Shilling und Sixpence oder ein Leinentaschentuch mit einer gepressten Blüte darin. Ich schickte ihr

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