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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Reihe ulkiger kleiner Ferienorte voller Motels, Wasserrutschen und Pfannkuchenrestaurants.
    Wir fuhren nach Norden, Meadow und ich, voller Vorfreude, und fingen an zu singen. Wir sangen unsere Lieblingslieder wie »Yellow Submarine« und »Kentucky Woman«. Sie hatte sich gefreut über den Mini, den wir in Loudonville gegen meinen Saturn eingetauscht hatten, und sie fragte nicht nach, warum wir damit weiterfuhren oder ob uns der Opi noch immer auf den Fersen war. Wir waren wieder zusammen. Es war einfach. Zum ersten Mal seit einem Jahr schöpfte ich wieder etwas Hoffnung. Schluss mit Scheidungsmediation und dieser ganzen Zermürbungstaktik. Ich wusste, wir würden es schaffen bis nach Lake George. Ich wusste das, und was danach wäre, ging mir am Arsch vorbei. Ehrlich gesagt.
    Es war ein ungewöhnlich warmer Juni. Wir ließen die Fenster runter und streckten die Hände in die Luft. Wir hielten nicht an, und wir hielten noch mal nicht an. Wir hielten nicht in Saratoga Springs; wir hielten nicht in Lake Luzerne oder Glen Falls oder sonst wo. Wir fuhren nicht mal langsamer, bis wir die Hauptstraße von Lake George erreichten und Meadow anfing, Popcorn! Karamelläpfel! Limonade! zu rufen. Die Wasserparks und Kartbahnen hatten schon geöffnet, und überall liefen halbnackte und vom Winter vergilbte Touristen wie wir herum. Letzten Sommer waren wir hier gewesen, Meadow und ich und ja-du-bist-gemeint, will sagen, unsere Familie, sozusagen im Jahre null (die Zeit vor der Post-Scheidungsepoche, dem Annum Repudium ), aber keiner von uns brachte diesen Umstand zur Sprache.
    Wir parkten am Straßenrand und rannten vorbei an der Orchestermuschel und dem Spielplatz bis direkt auf den kleinen, überfüllten öffentlichen Strand neben dem Kai. Meadow schlängelte sich durch die sonnenhungrigen Gäste bis zum Ufer und watete zu meiner Verblüffung mitsamt Kleidung ins Wasser. Sie stoppte erst, als das Wasser den Saum ihrer orangefarbenen Shorts durchtränkt hatte.
    »Papa!«, rief sie mir zu. »Das Wasser ist kalt .«
    »Natürlich, was denkst du denn«, sagte ich und krempelte meine Khakihose hoch bis über die Knie. »Der See ist sechzig Meter tief. Komm. Sollen wir dir einen Badeanzug kaufen?«
    »Nein, Papa! Noch nicht!«
    Ich lächelte und war insgeheim erfreut, und mir fiel wieder ein, dass es stets ein Ding der Unmöglichkeit war, sie loszueisen von dem, was sie gerade fesselte: ein Kronkorken, ein Marienkäfer, der Versuch, das Etikett von einer Flasche abzuziehen.
    Ich stemmte die Hände in die Hüften und ließ den Blick über das Gewimmel der Leiber schweifen. Einige rückten langsam ins eisige Wasser vor; andere breiteten Picknicks aus, Alufoliepäckchen, Kühlboxen, jeder versuchte einen Dollar zu sparen, indem er Mortadellabrote von zu Hause mitbrachte oder No-Name-Zigaretten rauchte wie Basics oder Viceroys, denn inzwischen waren wir alle mittendrin in der Rezession, entweder waren wir schon drin oder wussten, dass es nicht mehr lange dauern würde. Dicht am Wasser, in Meadows Nähe, lag eine hübsche junge Familie. Ich lächelte sie an, alle vier, dieses idealisierte amerikanische Quadrat – ein großer, gutaussehender Vater im Bann der fernen Dampfschiffe, eine erdbeerblonde Mutter im soliden Bikini mit umgebundenem Seidensarong und zwei konzentriert buddelnde Kinder.
    Laut sagte ich in ihre Richtung: »So ein Tag lässt den Stress einfach schmelzen.«
    Die zierliche Mutter warf mir einen Blick zu. »Es ist aber auch zu schön heute, nicht? Mein Problem ist, wenn es so schön ist, will ich’s behalten. Ich will’s in eine Kiste packen und mitnehmen, und es soll ewig halten.«
    »Ach, so dürfen Sie nicht denken«, sagte ich und machte ein paar Schritte in ihre Richtung. »Da werden Sie nur traurig.«
    Sie lächelte und neigte ein wenig den Kopf.
    »Wie auch immer«, sagte ich. »Wissen Sie, wo man so einen Tag aufbewahren muss? Man muss ihn im Herzen aufbewahren. Das ist die Kiste, in die man ihn reinpacken muss.«
    Nach einem Blick auf Meadow, die inzwischen fast bis zur Taille im Lake George stand, grinste ich zu den beiden Kindern der Frau hinunter. »Na, ihr beiden? Seid ihr schon auf Gold gestoßen?« Die Kinder ignorierten mich, genau wie der Mann. Die Frau errötete. Wahrscheinlich hätte ich sie auf den Mund küssen können, und er hätte noch immer nicht von seinen Dampfschiffen abgelassen. Heftiges Mitgefühl stieg in mir auf. Mitgefühl mit ihr und mit mir und mit ihren Kindern und mit meinem Kind und

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