Schroders Schweigen

Hupkonzert war losgegangen. Mein Unterkiefer prickelte. Ich unterdrückte einen triumphalen Jauchzer.
    Was hatten wir uns eigentlich vorgemacht, Hank und ich? Er hatte mir zu Recht vom ersten Tage an misstraut, und er hatte großzügigerweise bis jetzt gewartet, um mir seinen Abscheu unverhohlen zu zeigen. Dafür empfand ich so etwas wie Dankbarkeit. Für mich war er immer der optimistische Vater, der im Hintergrund die Dinge regelt – wie er anzunehmenderweise jedem Amerikaner in die Wiege gelegt wurde. Ich gab Gas. Wir fuhren jetzt mit knapp hundert Sachen durch den Verkehr auf dem Van Rensselaer Boulevard.
    Ich traute mich kaum, einen Blick zurück auf meine Passagierin zu werfen. Ich war es nicht mehr gewohnt, längere Zeit am Stück mit Meadow zu verbringen. In dem Jahr, seitdem wir nicht mehr unter einem Dach lebten, hatte sie den Kindergarten erobert und war mit ihren sechs Jahren ein großes Mädchen, höher gewachsen und intelligenter als alle in ihrer Klasse, und ich hegte die Hoffnung, dass ich Gnade fände vor ihren Augen, wie sie da hinten in ihrem zebragemusterten Kindersitz saß und mich richtete. Ich dachte daran, wie unsentimental sie selbst als Kleinkind schon gewesen war. Sie mochte keine salbungsvollen Ansprachen und stürmischen Küsse, und so beschloss ich, mir die gefühligen Appelle, die dürftigen Rechtfertigungen für das, was ich tat, zu schenken.
    »Schlimmer Verkehr«, sagte ich bloß.
    »Stimmt«, sagte sie.
    »Alles gut mit dir da hinten?«
    »Eigentlich hab ich Durst«, entgegnete sie mit leicht angestrengter Stimme.
    »Na, dann wollen wir dir mal was zu trinken besorgen. Was hättest du denn gerne? Gummibärchensaft? Hm? Affenmilch?«
    »Kann ich ein Mountain Dew haben? Mariah trinkt auch immer Mountain Dew. Die darf das von ihrer Mutter aus.«
    »Klar«, sagte ich. »Kein Problem. Ich halt gleich mal an, und wir besorgen dir ’ne Dose Mountain Dew. Du-bi-du-bi-du. Wird schon nicht so schlimm sein, so ein bisschen Blubberbrause, was?«
    »Ja. Und kann ich Star Wars sehen?«
    »Vielleicht. Hör zu. Eins nach dem anderen.«
    »Okay.«
    »Sicher, dass nichts ist mit dir?«
    »Ja.«
    »Ich hab das hier unter Kontrolle. Gut?«
    In dem Moment tauchte der Opi wieder auf wie ein Zombie, der mit abgeknalltem Kopf vor sich hin torkelt. Der Kotflügel des Tahoe war eingedrückt – das konnte ich aus der Entfernung erkennen –, und er fuhr jetzt wie beflügelt von seiner Verzweiflung und betätigte die Lichthupe. Bildete er sich tatsächlich ein, ich würde anhalten? Bildete er sich ein, ich würde ihn jetzt beachten, wo wir beide Ernst machten? Ich hatte nicht gegen die Bedingungen der mir zugewiesenen Besuchszeit verstoßen. In unserer elterlichen Vereinbarung stand nichts davon, dass ich nicht mit erhöhter Geschwindigkeit durch die Außenbezirke von Albany fahren durfte. Nein, dachte ich und warf einen Blick in den Rückspiegel. Nicht heute. Vorher musst du mich umbringen.
    Irgendwann nach meiner Scheidung, zu Beginn meines gesellschaftlichen Selbstmords, hatte ich einen Kunden beim Kauf eines zwangsversteigerten Bungalows in Loudonville vertreten. Im Anschluss an die Transaktion freundeten wir uns an, dieser Kunde und ich. Auch er war alleinstehend, und er roch förmlich nach Verlassenheit, ähnlich wie ich vermutlich. Als er den Entschluss fasste, den Sommer über wegzufahren, wen rief er da wohl an, um auf sein Grundstück aufzupassen und ab und zu seinen neuen Mini zu starten, um die Batterie auf Trab zu halten? Einmal war ich bei diesem Freund schon gewesen, hatte mit laufendem Motor in der Garage gesessen und leidenschaftslos festgestellt, dass es nicht nur ein Hollywood-Erzählmittel war; Kohlenmonoxid war tatsächlich geruchlos. Und dieser Mini war es, der mir in den Sinn kam – diesmal auf wunderbare Weise zum Fluchtwagen umfunktioniert –, während ich auf der 378 in westliche Richtung fuhr und der Abstand zwischen uns und dem funkensprühenden waidwunden Fahrzeug meines Schwiegervaters immer größer wurde.

ALLERSCHÖNSTES WASSER
    Die ersten Weißen, die auf den Lake George stießen, waren leichte Beute, weil sie dastanden und seine Schönheit begafften. Oben in den Adirondacks, knapp hundert Meter über dem Meeresspiegel, liegt er noch heute ozeanisch da wie eine schieferblaue Tafel, wenn man ein halbe Stunde nördlich von Saratoga Springs auf ihn zufährt. Der See erstreckt sich von der Stadt Lake George bis nach Ticonderoga, und sein westliches Ufer ist gesäumt von einer