Schroders Schweigen

nicht?«
    »Ja!«
    »Hast du zufällig deinen Badeanzug dabei?«
    »Nein!«
    »Kein Problem!«, rief ich laut. »Sobald wir da sind, kaufen wir dir einen neuen.«
    An jenem Morgen hatte ich vor ihrer Ankunft eine kleine Tasche gepackt (Badehose, Zahnbürste, etwas Lesestoff) und ließ diese kleine Tasche meinem Wunsch nach Flucht schöne Augen machen, jedoch nicht mit einer klaren Vorsätzlichkeit . Eher mit verzweifeltem Schwung steckte ich – nach kurzem Zögern – als Letztes auch meinen Reisepass ein. Nur für den Fall! Man kann ja nie wissen! Wir stiegen in meinen Saturn und ließen alle Fenster runter. Meadow saß in einem altersgerechten Kindersitz auf der Rückbank. Das Auto war sauber und unpersönlich, und auf jeder Seite prangte sichtbar für aller Augen ein munterer Clebus-&-Co.-Schriftzug.
    Wir hatten es fast durch den Flaschenhals von Albanys Vorstadt geschafft, da fiel mir im Rückspiegel etwas auf. Ein großer, schattenhaft schwarzer Wagen war uns mit ein paar Längen Abstand nachgeschlichen. Unnötigerweise bog ich links ab. Mein Widersacher tat es mir nach. Willkürlich bog ich rechts ab. Wieder folgte das Auto. Ich beschleunigte. Mein Widersacher auch. Ich hielt vor einem Stewart’s und wartete im Leerlauf auf dem Parkplatz. Mein Widersacher bummelte vorbei, nur um fünfzig Meter weiter vor einem Spargelstand am Straßenrand zu stoppen. Ernst schüttelte ich den Kopf.
    »Was ist denn?«, fragte Meadow.
    »Der Opi fährt uns hinterher«, sagte ich.
    Sie reckte den Hals.
    Ich hielt sie mit der Hand zurück. »Nein. Nicht hingucken.«
    »Warum fährt uns der Opi hinterher?«
    »Ich weiß nicht. Ich muss nachdenken.«
    »Fahren wir immer noch nach Lake George?«
    »Still«, sagte ich. »Lass mich nachdenken.«
    Meadow seufzte, verschränkte die Hände auf dem Schoß und murmelte: »Du hast gesagt , dass wir nach Lake George fahren. Du hast gesagt , dass wir fahren. Du hast es schon gesagt .«
    Ich beobachtete den Tahoe, der ein Stück vor uns am Straßenrand stand. Ich sah den armen Mann regelrecht vor mir, wie er das Lenkrad umklammerte und seinen Kopf einzustülpen versuchte. Glaubte er wirklich, er wäre unsichtbar?
    »Zu Hause rumsitzen ist so langweilig .«
    »Bitte, Meadow. Lass Papa nachdenken.«
    »Mama und Glen sitzen immer nur zu Hause rum. Die sitzen rum und reden, reden, reden.«
    Ich hob meine Augen zum Rückspiegel. »Mama und wer?«
    »Glen. Papa, Glen redet die ganze Zeit . Der ist langweilig. Der ist Anwalt.«
    »Aber Mama hat doch eine Anwältin, oder? Oder hat sie den Anwalt gewechselt? Oder ist Glen nur ein Freund, der Anwalt ist? Ach, wen kümmert’s. Hab ich recht? Was kümmert mich das. Kümmert dich das? Mich nicht.«
    Erneut sah ich hinaus in den Verkehr. Ich dachte an meine Noch-Ehefrau und wie sie mit Glen, wer auch immer er war, vertraulich plauderte und ihm zur Feier eines weiteren Rechtssiegs zu Hause bei einem selbstgekochten Essen zuprostete. Und fast hätte ich gelacht – ein schrilles, erschüttertes Lachen – beim Gedanken an das Märchen mit Papa Bär und wie Papa Bär sagt: Wer hat von meinem Porridge gegessen? Wer hat in meinem Stuhl gesessen? Ich griff nach hinten, um mich zu vergewissern, dass der Sicherheitsgurt richtig über Meadows Schoß befestigt war, und klopfte ihr unmotiviert auf den Oberschenkel. Dann trat ich so abrupt aufs Gas, dass die Reifen quietschten. Fast hätte ich den Pepsi-Lieferanten mitgenommen, als ich um das Gebäude herumkurvte und genau vor einem dicken Sysco-LKW in entgegengesetzter Richtung auf die zweispurige Straße rüberzog. In meinem Seitenspiegel machte der Tahoe einen Satz, umkreiste den Spargelstand und schoss in einer Staubwolke aus der Haltebucht. Das war genau der Ansporn, den ich brauchte; Opi hatte die Verfolgung aufgenommen. Immer wieder setzte er dazu an, über den doppelten gelben Streifen hinweg den Sysco-LKW zu überholen, während der Gegenverkehr vorbeiheulte. Sein riskanter Fahrstil begeisterte mich, und ich wollte unbedingt sehen, wie weit er bereit wäre zu gehen. An einer verstopften Kreuzung lockte ich ihn auf die Rechtsabbiegerspur zur Autobahn, nur um in letzter Sekunde zwei Spuren zu überqueren, bevor die Ampel auf Grün für Linksabbieger sprang. Ich fuhr wieder Richtung Norden auf dem Van Rensselaer Boulevard und hatte den Opi im Engpass aus dem Blick verloren, den er sich selbst eingebrockt hatte, während er zu verhindern suchte, sich auf die Autobahn nach Westen abdrängen zu lassen. Ein