Schroders Schweigen

klopft eine Macht an die Tür und man muss ihr Rede und Antwort stehen. Mir widerfuhr das an dem Tag, als ich vom Fußball nach Hause kam und Meadow – achtzehn Monate alt, ein Hauch von einem Geschöpf – auf mein verschwitztes Gesicht zeigte und sagte: »Papa regnet.« Das ließ mich innehalten, genau wie damals, als sie nicht geweint hatte. Wie schafft es ein so kleines Kind, einen so hübschen Satz zusammenzubringen? Sie sah zu mir hoch. Ich war vierunddreißig – kein alter Mann und doch alt genug, um die verbrannten Ränder der Schriftrolle meines Lebens klar erkennen zu können. Dieses Kind. Lag in diesem Kind irgendein Schlüssel zu meinem Leben?
    Mir also, uns also bot die wirtschaftliche Entschleunigung eine Gelegenheit zu spirituellem Wachstum in Form meiner Pleite, dir dagegen gelang es, einen heißbegehrten Job an der neuen experimentellen Vertragsschule in North Albany an Land zu ziehen. Im Frühjahr 2009 war der Immobilienmarkt zur Wüste verdorrt. Dieser gesunde Markt, der glückliche Austausch zwischen Verkäufern und Käufern wirkte rückblickend wie ein Märchen. Und so kam es, dass ich Hausmann des Jahres wurde. So kam es, dass ich in jenem Herbst mit meinem dreijährigen Kind, das mir im Grunde fremd war, auf der Veranda zurückblieb, während seine Mutter in meinem Firmenwagen davonfuhr, sehr hübsch anzusehen in Rüschenbluse und rührend erwachsen mit Perlenkette um den Hals.
    Erinnere ich mich noch an meine ersten Tage mit Meadow? Ich weiß noch, wie ich zu ihr hinuntersah, wie sie am Daumen nuckelte, ihre Schnuffeldecke unter dem anderen Arm, und es war der absolute Horror. Die Nachbarschaft war still wie ein Grab. Das Laub an den Eichen regte sich nicht. Eine Eichel sprang von der Motorhaube eines Autos. In meinen Ohren rauschte das Blut. Ich wartete darauf, dass irgendjemand auf der Straße auftauchte – egal wer. Ich sehnte mich nach dem sinnlosen Smalltalk, den ich so gut beherrschte. Wie würden wir den Tag ausfüllen, zwei Menschen mit so unterschiedlichen Vorstellungen von Spaß? Mich überkam der überwältigende Drang, etwas Unerhörtes oder Unterhaltsames zu tun. Ich hatte Angst, dass sie einfach ihr Schnuffelkissen nehmen und mich sitzenlassen könnte. Mir war gar nicht bewusst, dass sie mir jetzt schon hilflos ausgeliefert war. Ich war es, der sie einfach hätte sitzenlassen können. Ich hätte sie draußen vor der Feuerwache absetzen und davonspazieren können und hätte – nach ein bis zwei Jahren mühsamer Selbstrechtfertigung – kaum noch an sie gedacht. 6 Meine Tochter stand da und sah mich kaum an, als wenn sie sich selbst peinlich wäre, mit dem Bund ihrer gepunkteten Unterhose unter dem Gummizug ihrer Spielhose aus Cord. Mein Herz überschlug sich. Wie leicht zu verlassen ein Kind doch ist.
    Als ich unser beider wunden Punkt so halbwegs erkannt hatte, machten wir uns auf. Bald schon war das Territorium der Wohnung ausgereizt, mit den Puppen und Wachsmalstiften, die ich immer schon öde fand. Draußen zu sein war besser. Draußen konnten wir beide atmen. Wir spielten im nassen Sandkasten und im nassen Gras. Wir entdeckten, dass wir in der Hecke am Rand unseres Grundstücks stehen konnten, ohne dass uns der Postbote sah. Wir entdeckten spätsommerliche Brombeeren an den gruseligen Ranken auf der anderen Seite der Hecke. Wir diskutierten darüber, ob die Hecke und somit die Brombeeren uns gehörten oder nicht. (Ja, beschlossen wir.) Wir entdeckten einen überwucherten Garten auf dem Nachbargrundstück. Wir fanden heraus, dass der Duft der zwischen Daumen und Zeigefinger zerriebenen Minzeblätter noch Stunden später an der Haut haftete. Wir kochten Graseintopf. Ich bemerkte, dass meine Tochter in der Lage war, das detaillierte Augenmerk ihrer Mutter mit der unnachgiebigen Verwunderung ihres Vaters zu verbinden. Ich erkannte allmählich, dass ihre oberflächliche Gewöhnlichkeit (ihre Vorliebe für Glitzer und ihre schrillen Begeisterungsrufe etc.) eine Art Camouflage war für das wahrere, innere Kind, das die Last einer außergewöhnlichen Wahrnehmung trug. Das Kind – wie ich schnell erkannte – war begabt .
    O kleiner Imitator! Taschenspiegel! Innerhalb von Tagen verwendete Meadow dieselben Wörter und Ausdrücke, die ich beiläufig hatte fallenlassen, eher im Selbstgespräch und in dem Glauben, sie habe sie ohnehin nicht verstanden. Ein Aua war eine Platzwunde . Ein Rülpser war eine Eruktation . Eicheln waren omnipräsent . Ich sprach nie von oben herab zu ihr.