Schroders Schweigen
niesen.
»Danke«, sagte ich und schüttelte der alten Frau kräftig die Hand. »Wir sind begeistert.«
IM ZWEIFELSFALL BESSER NICHT
Es heißt immer, die Rezession habe die Menschen zur Einkehr gezwungen. Als Arbeitslose hatten die Leute mit einem Mal Zeit, ihr Seelenleben zu erforschen. Leute, die sich jahrzehntelang zu Tode geschuftet hatten, fingen plötzlich damit an, Brot zu backen, Gedichte zu lesen, Sandmandalas zu zeichnen und drängende Fragen an ihre Priester und Rabbis zu richten. Ich will damit nicht sagen, die Rezession hätte uns gutgetan. Ich will nur sagen, wir versuchten, das Beste draus zu machen.
In meinem Fall denke ich, dass die Geschichtsschreibung mich zur Legion der vielversprechenden jungen Makler zählen wird, die gerade im Aufwind waren, als die Immobilienblase platzte. Zwischen 2006 und 2007 machte ich einen Abschluss nach dem anderen. Ausschließlich Ranchhäuser und Bungalows in North Albany und Eigentumswohnungen in renovierten Mehrfamilienhäusern in Pine Hills. Erstlingshäuser für kleine Fische, aber dafür jede Menge. Nicht schlecht für jemanden, der wenig Eifer an den Tag legte. Zu meinen besten Zeiten vermakelte ich gleichzeitig zehn bis fünfzehn Objekte, die alle noch vor der nächsten Ausgabe der Sonntagszeitung schon wieder vom Markt waren. Ich war so dick im Geschäft, dass ich einfach nicht mehr ans Telefon ging. Mein Erfolg – wenn auch in einem Feld, für das ich wenig Respekt hatte – bestätigte mich in meinem Selbstbild als latente Ausnahmeerscheinung. Obwohl es die Rezession war, die meinen Niedergang auslöste, war ich also, als sie über uns kam, schon gut dabei, mich beruflich umzuorientieren. Vermutlich hatte meine Laufbahn sogar ihren Zenit erreicht (Clebus & Co. Makler des Monats, Februar 2007), als ich das Interesse verlor. So war ich eben: Erst bewies ich mich, dann bekam ich Langeweile und sah mich nach neuen Herausforderungen um.
In dem Moment, als Meadow geboren wurde, wusste ich, dass sie ein außergewöhnlicher Mensch war. Erstens schrie sie nicht. Auch wenn mir klar war, dass die Schreie eines Neugeborenen auf Lebensenergie und Kraft schließen lassen, graute mir vor ebendiesem Klischee. Um ehrlich zu sein, hatte ich bis zu dem Moment wenig Interesse an ihr gehabt. Eigentlich hatte ich nie Kinder gewollt. Das heißt, ich hatte nie Kinder gewollt, war aber nie bereit gewesen, Stellung zu beziehen. Ich wollte nicht keine Kinder. Aber Meadow schrie nicht bei ihrer Geburt, und das ließ mich aufmerken. Ich betrachtete sie eingehend, in ihrer silbernen Waagschale, und wie sie mit den Fäusten ausholte gegen die Leere, und ich dachte, verdammt noch mal, da muss ja doch irgendwas dran sein.
Dann ließ ich zwei Jahre ins Land gehen, bevor ich mehr als ein flüchtiges Interesse an ihr zeigte. Sie war eine liebenswerte, aber doch irgendwie irrelevante Präsenz, noch nicht ganz hier . Außerdem gehörte sie dir, sie hing an deiner Brust. Als Vater kapiert man das irgendwann.
Und so hielt ich mich in Sachen Vaterschaft in diesen frühen Jahren eher zurück. Ich war der Versorger. Es erfüllte mich mit Stolz, dir die Zeit zu Hause mit dem Baby ermöglichen zu können. Meine Arbeitszeiten waren erfreulich unregelmäßig, und so startete ich als Freizeitkicker richtig durch. Ich freundete mich mit Kunden an, ging im Winter mit ihnen drei Stunden lang zu Mittag essen, unternahm im Sommer spontane Ausflüge nach Saratoga. Oft kam ich nach einem Arbeitstag mit den Stollenschuhen über der Schulter nach Hause, nahm im Hüpfschritt die Treppe, und erst als ich hinter der Wohnungstür Meadows Krähen hörte, fiel mir wieder ein, dass ich überhaupt ein Baby hatte.
Du, Laura, hattest dich natürlich verändert. Meadow war dein Leben. Nachdem du sie entbunden hattest, verbrachtest du ein zerzaustes Jahr daheim. Du kochtest Meadows Babybrei selbst, regtest dich über Umweltgifte auf und verdrängtest in jeder Hinsicht deine beruflichen Ambitionen. Manchmal kam ich nach Hause, und die Küche war ein einziges Schlachtfeld, und keine Spur von euch beiden. Ich ging die Treppe hoch, und oben im Badezimmer saßt du mit der kleinen Meadow hinter Dampfschwaden in der Wanne, und eure Sachen – deine weiten Hemdblusen und ihre kleinen Strampler – lagen hingeworfen auf der Schwelle wie bei einem Liebespaar.
Es erfordert wenig Mühe, bei anderer Leute Vision vom Leben mitzumachen. Herrgott, es erfordert wenig Mühe, überhaupt irgendwo mitzumachen. Aber dann, eines Tages,
Weitere Kostenlose Bücher