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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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ihrer Veranda. Noch einmal betrachtete ich die Aussicht – das abblätternde Farmhaus, den See, meine Tochter mit dem taubenetzten Haar.
    »Entschuldigung!«, rief ich und schlug mir sensenartig einen Weg zurück zu der alten Frau, bis ich nicht mehr in der Wiese feststeckte. Ich klopfte mir die Gräser vom Hosenbein. Sie blinzelte mit trüben blauen Augen zurück. »Verzeihung, dass ich so langsam geschaltet habe. Meine Tochter und ich –« Die Wiese spuckte nun auch Meadow aus, die schelmisch aussah mit den Haaren voller Kletten. »Meine Tochter und ich machen eine kleine Tour und, ja, wir suchen etwas, wir suchen tatsächlich eine Übernachtungsmöglichkeit. Für ein bis zwei Tage, bevor wir weiterziehen.«
    Die Frau schaute halb in Meadows Richtung. »Wie haben Sie von mir gehört? Von jemandem in der Stadt?«
    »Nein«, sagte ich. »Nein, um ehrlich zu sein. Ich wüsste nicht mal, von welcher Stadt. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren.«
    Die alte Frau wirkte enttäuscht. »Die Sache ist die, ich hab’s lieber, wenn die Leute auf Empfehlung kommen. Man weiß ja nie. Ich bin allein hier draußen. Man weiß ja nie.«
    »Oh, das verstehe ich. Aber wir sind nur ein Papa und seine Kleine, die sich mal irgendwo umziehen müsste, raus aus dem Nachthemd. Eine Hütte, ja, das wär toll, zum Ausruhen und Umziehen.«
    Die Frau nickte, aber sie hatte sichtlich keinen Schimmer, dass Meadow noch ihr Nachthemd trug. Aha. Sie war ideal; sie hatte nicht mal Augen im Kopf. Ich legte mich ins Zeug.
    »Vielleicht denken Sie, das ist jetzt Quatsch«, sagte ich, »aber ich glaube, wir kommen doch auf Empfehlung. Von der Gegend. Die Gegend hat uns magisch angezogen. Tut mir leid –« Ich presste mir die Finger auf die Augen. »Ich bin die ganze Nacht gefahren. Ich verstehe ihre Prinzipien vollkommen. Komm, Hase.«
    »Na ja«, sagte die Frau, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. »Kommen Sie mal mit und gucken sich Hütte zwei an. Hütte eins ist schon vermietet, also haben Sie gar keine Wahl. Ich weiß nicht« – die Frau sah beim Gehen zu Boden –, »die andere ist an jemand vermietet, aber auch nicht auf Empfehlung.«
    »Die wirtschaftliche Lage ist furchtbar«, sagte ich und nahm Meadows Hand. »Wir haben alle so viel verloren.«
    »Bei mir gibt’s kein Frühstück und auch sonst keinen Service«, fuhr die Frau fort. »Ich hab kein Internetz. Ich hab ja nicht mal ein verdammtes Telefon. Aber ehrlich gesagt, die meisten Gäste scheinen das gerade toll zu finden. Woher kommen Sie?«
    Ich drückte Meadows Hand und zwinkerte ihr zu. »Kanada«, sagte ich.
    Meadow riss die Augen auf, um sie dann verschwörerisch zu verengen.
    Die alte Frau führte uns über einen Kiesweg, der am See an einer kleinen U-förmigen Bucht mit hartem grauem Sand endete. Das Strändchen wurde flankiert von zwei mit Spalieren aufgemotzten Schuppen. Die schokobraunen Häuschen waren so klein, dass sie sich ausnahmen wie zwei Puppenhäuser im Wald. Die alte Frau griff nach einem Schlüsselbund an ihrem Gürtel und drückte mit der Schulter die Tür auf. Meadow rannte hinein und sprang auf eines der schmalen Eisenbetten. Der Raum war muffig, ungefegt und roch nach nasser Wolle. Ein ovaler Flechtteppich lag auf dem Boden, und ein Dutzend kleine Apothekenfläschchen säumten das Sims des einzigen Fensters in der schummrigen Hütte.
    »Na?«, sagte die Frau erwartungsvoll. »Was sagen Sie?«
    Was sagte ich? Was hätte ich sagen sollen? Hätte ich nein sagen sollen – nein, wir sollten besser umkehren und nach Hause fahren? Ich bin darin gescheitert, meine Ehe zu retten, und ich bin darin gescheitert, meine Rechte als Vater zu verteidigen, und bin auf diverse Art und Weise gescheitert, was meine Absichten anbelangt, und jetzt muss mein ausnehmend intelligentes Kind zu Unserer Lieben Frau der Chronischen Müdigkeit mit ihren dumpfen Erziehungsmethoden zurück und zu ihren Nullachtfünfzehn-Großeltern und zu ihrer ungnädigen Mutter, und wir dürfen nie wieder über diese Sache hier reden, und wir dürfen uns niemals fragen, was wir damit gewonnen hätten, wenn wir einfach ja gesagt hätten? Und ich – hätte ich sagen sollen, eigentlich müsste ich dringend in meinem Mietshaus in der New Scotland Avenue sein und noch einen Abend in der Duschkabine mit einer Zahnbürste den Dreck von der Dichtung schrubben, das Glas Canadian Club griffbereit in der Seifenschale?
    Ich trat aus der kleinen Hütte, die offenkundig umherschwirrenden Allergene ließen mich

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