Schroedingers Schlafzimmer
nur möglich, daß man so etwas erst nach Jahren bemerkt?«
Während sie sprach, sah Oliver mit Entsetzen, daß Salome-Saidi |126| auf seinem herrlich großen Bildschirm immer noch mit tulpenhaft ausgestreckten Armen und kreisendem Becken ihre Schrittfolgen abspulte. »Ist schon verteufelt mit der Mode«, preßte er mechanisch durch die Zähne und überlegte, wie er verhindern konnte, daß Helma sich umwandte. Wenn sie mitbekäme, daß er sich Bauchtanzclips runterlud, würde sie mit Sicherheit annehmen, daß es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelte, sondern um den gewohnheitsmäßigen Konsum billiger Netzerotik.
Oliver lotste Helma in den hinteren Teil des Ladens. Als sie sich dort umwenden und auf die Couch fallen lassen wollte, insistierte er: »Nein, du solltest dich besser
hier
in den
Sessel
setzen. Dann hast du das Schaufenster hinter dir und kein
Gegen
licht, wenn du dich gleich im Spiegel betrachtest. Gerade mit Sonnenbrille würdest du da überhaupt nichts erkennen.«
Helma setzte sich folgsam in den ihr zugewiesenen Sessel, mit dem Rücken zum Bildschirm, womit Oliver das Schlimmste fürs erste verhindert hatte. Jetzt mußte er sie ablenken, bis dieser verfluchte Clip ein Ende gefunden haben würde. Den kleinen Fortschrittsbalken unter dem Videofenster, dessen Länge zu entnehmen gewesen wäre, wie lange Salome-Saidi noch gedachte, mit ihrem Geschlängele fortzufahren, konnte er aber nicht erkennen. Nervös blieb er neben dem Sessel stehen und wagte es nicht, sich ebenfalls hinzusetzen.
»Wir finden etwas Passendes für dich«, sagte er, den Kopf zum Bildschirm gewandt, »die Mode hat sich in den vergangenen Jahren radikal geändert, diese dünnen Drahtgestelle |127| sind schon lange nicht mehr angesagt, die stehen kaum einem, weißt du, in den Prospekten werden die Models danach ausgesucht, ob ihnen die Brillen stehen, da richten sich die Brillen nicht nach den Gesichtern, sondern die Gesichter nach den Brillen, das muß man natürlich wissen, wenn man die Broschüren durchblättert, laß dir auf jeden Fall jede Menge Zeit dabei, es gibt nichts Schlimmeres, als unter Druck eine Sonnenbrille zu kaufen, das ist der sicherste Weg, um kreuzunglücklich zu werden, sage ich immer, die Sonnenbrille
ersetzt
ja gewissermaßen deine Augen, das macht sich nämlich keiner klar, normale Brillen betonen sie, schälen sie aus den Gesichtern heraus, aber eine Sonnenbrille
ist
dein Auge, und deswegen solltest du dich erst mal darauf besinnen, was du willst, denke über deinen Typ nach, horche in dich hinein, du weiß schon, wer du bist und so …«
Inzwischen war etwas Furchtbares geschehen: Mit drei oder vier gezierten Pirouetten war Salome-Saidi freundlicherweise in das Dunkel des Videofensters entschwunden – doch leider nur für ein paar Sekunden. Danach pixelte der Real-Time-Player sie erneut auf die brillante CrystalBrite-LC D-Oberfläche des riesigen Monitors, und zwar in präzise jener Anfangspose mit zwiebelförmig erhobenen Armen und blitzendem Bauchnabelpiercing, aus der heraus sie, wie Oliver wußte, in wenigen Sekunden beginnen würde, mit schaukelnden Hüften und perfidem Dauergrinsen auf Zehenspitzen seitwärts zu trippeln. Oliver versuchte verzweifelt, so etwas wie Stop-Wellen auszusenden, aber der Computer reagierte nicht auf seine telepathischen Eingaben.
|128| Helma wollte aufspringen und Olivers Sonnenbrillenkollektion durchforsten. »Wie hast du die Brillen sortiert, nach Tönung oder Designern? Ich möchte mich diesmal nicht von einem Markennamen blenden lassen.«
In seiner Verzweiflung legte Oliver ihr reichlich unsanft die Hand auf die Schulter und drückte sie zurück in den Sessel. »Warte noch … ich habe da ein ganz besonderes Stück, ist heute erst reingekommen. Eine Gucci. Das Ding ist ein Knaller …«
Er hastete wie irrsinnig durch den Laden. Sein Plan (sofern man in der gegebenen Situation von einem Plan sprechen konnte) war, Helma durch seinen Aktionismus irgendwie zu lähmen, sich dabei peu à peu seinem PC zu nähern und den Bildschirm mit einer schnellen, gezielten Bewegung abzuschalten. Gott sei Dank hatte Helma Zeit. Während Oliver von Schublade zu Schublade sprang, teilte sie ihm unter dem Mantel strikter Verschwiegenheit mit, daß Schrödinger sich bei Mark unauffällig nach den Aktien eines bestimmten Spielzeugherstellers erkundigt habe,
Magic Puppet
, einer mysteriösen Firma, die sozusagen Knetgummi herstellen würde. Um seine Suche realistisch wirken
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