Schroedingers Schlafzimmer
ehemals sozialistische Teppichböden vorstellte. Außer einem schwarzen Lederhalsband, von dem eine Kette auf ihre Schenkel fiel, und den obligatorischen Pumps trug Swetlana nichts am Leib. Ihre dunklen Haare waren flüchtig hochgesteckt, und da Oliver kyrillisch nicht entziffern, geschweige denn verstehen konnte, war nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen, was es mit den Fotos auf der Webseite von Oleg Borgia auf sich hatte. Die wahrscheinlichste Deutung war natürlich, daß der Dreckskerl Swetlana zahlungskräftigen Männern per Internet anbot. So tief konnte ein Name also sinken! (Oder war sich das Geschlecht der Borgia seit der Renaissance genetisch einfach nur treu geblieben?) Die arme Swetlana blickte so offen und nicht im mindesten professionell in die Kamera. Und auf einmal spürte Oliver, daß ihn der Anblick ihrer schönen Augen (und Brüste)
nicht
kalt ließ. Schnell (und traurig) klickte er sie fort.
Er stand auf und ging eine Weile im Laden hin und her, um sich zu beruhigen. Wieder einmal wurde ihm klar, daß sein Sexualleben von jeder Form der erotischen Balance himmelweit entfernt war. Seit mehr als vier Monaten hatten Do und er nicht mehr miteinander geschlafen, und er empfand es als unerträglich demütigend, neben ihr zu liegen und die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Jedenfalls brauchte man kein mit allen Wassern gewaschener Ehetherapeut zu sein, um zu begreifen, daß es sich bei all |124| dem um das Symptom einer ernstzunehmenden Krise handelte.
Zweimal näherte Oliver sich bedrohlich dem Rechner, um Swetlana noch einmal anzuklicken, aber er verbot es sich. Nach einer Weile fiel ihm aber ein, daß er das Stichwort ›Salome ‹ noch nicht erforscht hatte. Der Preis für ihren berühmten Entschleierungstanz war, wie er aus der Kunsthistorie wußte, das Haupt von Johannes dem Täufer gewesen. Mit mehr als einer Million Webeinträgen stellte Salome Mata Hari noch um Längen in den Schatten, selbst wenn man die Stadt Salome in Arizona, Salome Zourabichvili, die Außenministerin von Georgia, oder die Clubanlage Salome’s Garden auf Sansibar abzog.
Alle hatten Salome gemalt: Tizian und Caravaggio, Klimt, Gustav Moreau und Franz von Stuck, bei dem sie aussah wie eine Mischung aus Carmen und einem Revuegirl. Schon immer hatten Frauen sich vor Männern ausgezogen, aber die Preise hatten sich enorm geändert. Ausgehend vom Haupt Johannes des Täufers über die Millionen auf Mata Haris Pariser Bankkonten bis hin zum Münzgeld für die Peepshow-Automaten der achtziger Jahre ergab sich ein schwindelerregender Kursverfall für das weibliche Entblößen von der Antike bis in die Gegenwart.
Auf der Seite
orientiktanz.de
fand Oliver ein paar Bauchtanzclips einer gewissen Salome-Saidi. Er lud eine der Dateien herunter und öffnete sie. Salome-Saidi trug einen weißglitzernden Hüftrock und einen BH, der wie ein Vorhang aus Perlenschnüren gearbeitet war. Ihr Bauchnabel über dem Bund des Rocks war glitzernd gepierct (vielleicht |125| sprach man beim Nabelschmuck einer Bauchtänzerin nicht von einem Piercing). Die Tanzsequenz startete damit, daß ihre Arme über dem Kopf eine zwiebelartige Spitze formten, die sich zunächst wie ein Blütenkelch öffnete. Dann trippelte sie auf Zehenspitzen mit schaukelnden Hüften seitwärts und ließ mit maskenhaftem Dauerlächeln ihre voluminösen Brüste auf- und abwippen.
In diesem Moment segelte Helma Kienapfel herein. Sie betrat das Geschäft in ihrer üblichen unaufhaltsamen Art, so daß Oliver nicht einmal mehr Zeit blieb, sie innerlich zu verfluchen. Er ließ den Mauszeiger auf die rechte obere Ecke des Bauchtanzfensters sausen, um Salome-Saidi unauffällig wegzuklicken, und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck freudigster Überraschung.
»Helma!«, rief er besonders laut aus. »Wie schön, dich zu sehen! Was führt dich her?«
Er traf mit ihr in der Mitte seines Ladens zusammen. Immerhin trug sie flache Schuhe, so daß sie ihn nicht demütigend überragte. Das hätte er im Moment nur schwer ertragen können. Wie üblich küßten sie sich zur Begrüßung rechts und links auf die Wangen. Sie roch nach Olivenöl.
Sie sagte: »Stell dir vor, Oliver, ich habe mir vor ein paar Jahren eine Ray-Ban gekauft und dachte damals, ich würde
nie wieder
eine neue Sonnenbrille brauchen. Und was sehe ich vorhin im Spiegel? Daß sie mir
absolut nicht steht
und mein Gesicht mit ihren eiförmigen dunklen Gläsern geradezu in einen
Toten
schädel verwandelt. Wie ist das
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