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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Charmeur würde er die Sprache femininer Gesichtszüge wieder präzise lesen können. Eigentlich paßte es Oliver nicht, daß gerade er das Zaubergerät angefertigt hatte, das diesem erotisch gefährlichen Mann diese verloren gegangene Dimension wieder erschließen würde. In irgendeinem Buch des Lebens stand wohl geschrieben, daß der heutige Nachmittag für ihn eine Prüfung war. Er nahm die Brille aus dem Etui und setzte sie dem Zauberer auf. Schrödinger verdankte der weichen, etwas wäßrigen Oberfläche seiner kleinen graublauen Augen sein sensibles offenherziges Aussehen. Jetzt weiteten sie sich und nahmen einen überraschten, ja beinahe verblüfften Ausdruck an.
    »Oliver!«, rief er, »Sie sind ja Jesus! Sie sind in der Lage, Blinde sehend zu machen! Grandios! Ich wollte doch nur ein paar Buchstaben aus dem See des Sichtbaren |132| fischen, und Dank Ihnen habe ich einen Schatz gehoben! Wer hätte gedacht, daß ganz normale Dinge so unglaublich vor
han
den sein können!« Voller Begeisterung grabschte er mit seinen riesigen rosigen Händen ein paar Prospekte vom Tisch und schwenkte sie in seinem Gesichtsfeld hin und her. »Jetzt weiß ich endlich, warum man von
Hochglanzpapier
spricht. Oliver, es ist ja geradezu, als hätten Sie das Licht neu erfunden: Es werde Licht! Daran, daß mir ständig diese religiöse Metaphorik auf der Zunge liegt, sehen Sie, daß ich wirklich überwältigt bin. Helma, ich dachte immer, Sie hätten gelbes Haar, aber es ist ja golden! Seien Sie ehrlich, Oliver, ist das tatsächlich nur eine Brille, oder haben Sie nicht doch ein wenig an der Wirklichkeit herumgefummelt? Donnerwetter! – als Zauberer kann ich ja noch was von Ihnen lernen! Jedenfalls dürfte ich mit meinen Darbietungen auf keinen Fall hinter das zurückfallen, was Sie hier so mir nichts dir nichts aus dem Ärmel schütteln. Das ist niederschmetternd, die Meßlatte liegt jetzt verflucht hoch. – Was soll ich Ihnen vorlesen?« Er schlug einen der Prospekte auf und verkündete: »
Von Tradition und Zeitlosigkeit inspiriert übertrifft das Unisex-Modell Gucci 1446 jedes Kriterium, an dem Designersonnenbrillen in der Prêt-à-porter-Welt gemessen werden. Chef-Designer Tom Horn weiß, daß Luxus selbstverständlich aussehen muß. Guccis Sonnenbrillen wecken Begehren und geheime Lüste; sie sehen nach diskretem Sex und offensichtlichen Absichten aus, vermitteln ein Popstargefühl als Belohnung für Alltag und Arbeit. Die Freiheit der Metropole – das ist der Ausdruck dieser Brille. Ein bizarrer Hauch für alle, die es lieben, wenn andere sich umdrehen. Gucci Sonnenbrillen sind nur für diejenigen, die sich
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selbst wahrnehmen und ihren eigenen glamourösen Lebensstil öffentlich machen. Logo-Ort ist der Bügel.
«
    Der Text machte Helma neugierig. Die Gucci 1446 lief schwarz und gleichbleibend breit von Ohr zu Ohr. Helmas helles Gesicht sah damit aus, als habe man ihr aus rechtlichen Gründen einen dunklen Augenbalken verpaßt wie einer Drogensüchtigen auf einem Foto.
    »Perfekt!«, sagte Oliver. Es war an der Zeit, daß er sie und den Zauberer endlich loswurde.
    Schrödinger fischte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner safarifarbenen Popeline-Hose. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
    Das war eine mißliche Frage. Um sie zu beantworten, hätte Oliver den Monitor wieder anschalten müssen, und sein Ringen um Schadensbegrenzung in Sachen Salome-Saidi wäre umsonst gewesen. Nicht nur Helma, auch Schrödinger würde sich seinen Reim auf Olivers vermeintliche Download-Gewohnheiten machen und wohl zu dem Schluß kommen, daß bei dem Ehepaar Schwarz erotisch die Luft raus war und er folglich bei Do leichtes Spiel haben dürfte. Oliver fühlte sich miserabel. Er dachte an jene Film-Bomben, deren Uhren unaufhaltsam abwärts tickten, bis sie von einem Helden mit übermenschlicher Ruhe in den letzten drei Sekunden entschärft wurden. Sein Bildschirm war so eine Bombe, aber er war kein Held. Er sagte: »Mein Rechner funktioniert nicht. Die Mühle ist irgendwie am Ende und spuckt eine Fehlermeldung nach der anderen aus. Nehmen Sie Ihre Brille einfach mit. Wenn alles wieder läuft, schicke ich Ihnen die Rechnung. Was halten Sie davon?«
    |134| Oliver hatte allerdings nicht bedacht, daß Helma sich mit Rechnern auskannte. Sie meinte, es würde sich höchstwahrscheinlich um irgendeinen Wurm handeln, und schob die Gucci 1446 hoch. Über ihrer Stirn sah der schwarze Brillenbogen auf einmal aus wie Mata Haris Schlangendiadem. Mit

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