Schroedingers Schlafzimmer
zu lassen, verschwand Oliver pro forma in der Werkstatt, kam schnell wieder heraus, schloß die Tür, murmelte irgend etwas vor sich hin und näherte sich im Zickzackkurs dem Kassentresen mit dem Bildschirm. Salome-Saidi begann soeben – Oliver hatte es ja geahnt – einen dritten Durchlauf. Schrödinger habe, sagte Helma, nicht nur bei Mark
Magic-Puppet
-Aktien gezeichnet, sondern auch bei anderen Banken. Mark hatte das von Kollegen erfahren. Natürlich wußte man nicht, ob es
wirklich
|129| Schrödinger gewesen war, denn Namen waren bei diesen Gesprächen tabu. Aber es war ja klar, daß es sich nur um Schrödinger gehandelt haben
konnte
. Wer sonst wäre so verrückt, sein ganzes Geld in Knetgummi zu stecken! Endlich beim PC angekommen, zwang Oliver sich zur Ruhe, um ja nicht den falschen Knopf zu erwischen (diesmal durfte er keinen Fehler machen), und schaltete den Monitor ab. Das Bild wurde augenblicklich dunkel, eine tiefe Kunststoffdunkelheit, aus der Salome-Saidi nicht mehr auferstehen würde. Er hatte es geschafft und atmete durch. »Du hast vollkommen recht, Helma. Man wird aus diesem Schrödinger nicht schlau.«
Beruhigt, ja gelassen schlüpfte er jetzt in die Rolle des routinierten Verkäufers. Dabei empfand er Helma gegenüber beinahe so etwas wie Dankbarkeit: Sie hatte sozusagen kooperiert. Er nahm sich vor, sehr ernsthaft eine Sonnenbrille für sie auszusuchen, die ihr farblich stand. Ihr Gesicht wirkte im Lichtballon ihrer blondierten Haare immer ein wenig gelblich.
Sie sagte: »Ich habe gehört, daß er Do und dich bereits zu einem kleinen Abenddiner eingeladen hat.« In diesem Moment strebte niemand anders als der, über den sie sprach, Balthasar Schrödinger, der Zauberer, von links nach rechts durch Olivers Blickfeld. »Eigentlich wären ja Mark und ich zunächst an der Reihe gewesen«, fuhr sie beleidigt fort. »Ich finde dieser Schrödinger …«
Oliver sagte: »Helma, er kommt gerade herein.«
Sie drehte sich um und sprang dem Zauberer enthusiastisch entgegen. »Balthasar! Wie schön, dich zu sehen. Wie geht es Josephine?«
|130| Sie empfing drei Begrüßungsküßchen von ihm, und dann tauschten die beiden eine Reihe von Höflichkeiten über irgendeine Geschichte aus, die offenbar kürzlich stattgefunden hatte. Oliver erfuhr, daß Josephine, das Kätzchen, sich bei einem Streifzug durch die Gärten des Viertels verirrt hatte. Helma war Programmiererin und erstellte zu Hause Datenbanken für mittelständische Unternehmen. Vor ein paar Tagen erschien auf der Fensterbank ihres Arbeitszimmers ein Kätzchen und maunzte unglücklich. Helma kannte Josephine noch nicht, aber der Zauberer hatte seinem Liebling ein Halsband mit der Telefonnummer in einem kleinen Medaillon umgebunden. Helma rief ihn also an, und er fragte sie, ob sie ihm das Kätzchen nicht bringen könnte, weil er gerade sehr beschäftigt sei. Diese Gelegenheit, endlich sein Haus zu betreten, ließ Helma sich nicht entgehen. Als sie mit Josephine bei ihm auftauchte, hatte er schon eine Flasche Champagner kalt gestellt. Oliver schloß aus der Vertrautheit zwischen den beiden, daß sie diese Flasche gemeinsam ausgetrunken hatten.
Schrödinger sagte zu Oliver: »Sollten Sie oder Do Josephine je in Ihrem Garten sichten, zögern Sie nicht, mich anzurufen! Die Kleine hat die Grenzen ihres Reviers noch nicht intus und büchst immer aus. Ich habe schon das eine oder andere ernste Wörtchen mit ihr darüber geredet – umsonst.«
Die Vorstellung, daß Do dem Zauberer seine Katze zurückbringen und dafür mit Champagner entlohnt werden könnte, gefiel Oliver nicht gerade. Schrödinger wollte seine Brille abholen, und er wandte sich konspirativ flüsternd |131| an Helma: »Du mußt mir hoch und heilig versprechen, mit
niemandem
darüber zu reden, daß wir uns hier getroffen haben. Zauberer sollten es nicht nötig haben, Brillen zu tragen. Mein Ruf steht auf dem Spiel, meine magische Aura. Du weißt ja, wie das mit Gerüchten so ist: Nichts schadet einem mehr als die Wahrheit.«
Wenn jemand mit der Natur von Gerüchten vertraut war, dann Helma. Sie versprach dem Zauberer zu schweigen. Offenbar waren alle Frauen des Viertels in ihn verliebt, dachte Oliver. Schrödingers Brille war ein randloses Modell mit Titangelenken und vollentspiegelten Gleitsichtgläsern. Die meisten Menschen, die schlecht sahen, vergaßen, was es bedeutete, gut zu sehen; in der Halbtotalen mußte die Brille für den Zauberer eine Offenbarung sein. Als notorischer
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