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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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hoch sitzenden Brüsten gehabt. Außer groben Perlenketten aus Ebenholz oder dunklem Mondstein, einem Sonnengott-Amulett vor den Schamhaaren und einer sich um ihren rechten Oberarm ringelnden Schmucknatter trug sie nichts am Leib. Die rechte Hand hielt sie auf orientalisch anmutende Weise abgespreizt, und die linke schwebte waagerecht unter ihrem leicht angehobenen Kinn. Ihre Haare wurden von einem dunklen Diadem zusammengehalten, aus dem der Kopf einer Klapperschlange herauswuchs.
    Alles in allem war Oliver von Mata Hari enttäuscht. Er hatte einen erotischen Kitzel erwartet, aber ihre Nacktheit ließ ihn ziemlich kalt. Sie blickte ein bißchen unglücklich drein oder vielleicht auch sehnsüchtig aus ihren großen, dunkel umschminkten Augen, die schön gewesen sein mochten. Alle Aufnahmen, die Oliver von Mata Hari aufstöberte, waren anrührend kurios. Mal hielt sie als Odaliske |121| einen Plisseeschleier vor ein Wüstenlandschaftsprospekt, mal plauderte sie mit Piratenkopftuch, Metall-BH, hochgeschobenem Samtrock und schwerem Fußkettchen mit ein paar Pickelhaubenkavalleristen und Ordonnanzoffizieren, die ihrem Stummfilmcharme unübersehbar verfallen waren. Die unterschiedlichsten Webseiten huldigten ihrem Mythos. Eine Dessouskollektion (bestehend aus einer bordeauxroten Spitzenkorsage mit zum Schein aufgesetzter Schnürung, einem Knospenmusterstring und gekräuselten Strumpfhaltern), ein giftgrüner spanischer Absinth, die weibliche Chihuahualinie eines texanischen Hundezüchters sowie eine schwarze Pygmäenziege auf einer Farm im Staate Washington trugen ihren Namen.
    Oliver ließ seinen Blick zur Seite wandern und sah hinaus auf die Straße. Die gegenüberliegenden Hauseingänge leuchteten mal hell auf und sanken Sekunden später wieder zurück in blasses Grau, als sei irgend etwas mit der Energieversorgung der Sonne nicht in Ordnung. An den Namen der Renaissance-Kurtisane, von der Schrödinger gesprochen hatte, konnte er sich nicht mehr erinnern. In Bezug auf die Malerei war die Renaissance, insbesondere die Frührenaissance, eine seiner Lieblingsepochen. Botticelli, Tizian oder der geheimnisvolle Giorgione, von dem es ein bedeutendes (leider namenloses) Kurtisanenportrait gab und eines von Cesare Borgia, von dem es hieß, er habe es mit seiner Schwester Lucretia getrieben.
    Google, diese Zaubermaschine, spuckte zu ›Renaissance ‹ und ›Kurtisane ‹ einen Namen aus: Tullia d’Aragona. Das Persönlichkeitsprofil paßte. Irgendwann zwischen 1508 und 1510 aus der Liebesbeziehung zwischen |122| einem Kardinal und seiner Mätresse hervorgegangen, hatte Tullia d’Aragona zu einer Reihe von männlichen Berühmtheiten und Würdenträgern ihrer Zeit regen Kontakt gehabt: Cosimo de Medici oder der Kardinal Hippolytos de Medici, und auch ein unehelicher Sproß aus dieser verlotterten Borgiasippschaft gehörte offenbar zu ihrem Verehrerkreis. Außerdem hatte sie es zu einem Eintrag in
philosophenlexikon.de
gebracht, weil sie in ihrer Freizeit ein Buch mit dem Titel ›Über die Unendlichkeit der Liebe ‹ geschrieben hatte. Das Stichwort Liebe ließ Oliver beim Herumsurfen in den Gefilden der Renaissancekultur auf Bronzinos ›Allegorie der Liebe ‹ stoßen sowie Botticellis berühmte, im Auftrag der Medici gemalte ›Geburt der Venus ‹, Giorgones vermutlich von Tizian fertiggestellte ›Ruhende Venus ‹ und die von Tizian allein gemalte Venus an der Seite von Lucretia Borgia. Das Googeln von ›Borgia ‹ wiederum ergab, daß von dem einst so klangvollen Namen im Laufe der Jahrhunderte nicht viel übriggeblieben war. In Amerika gab es einen Stanley Borgia, seines Zeichens ›Assistant Special Agent in Charge ‹ beim FBI, Zweigstelle Buffalo, New York, dessen Haare auf dem Webseiten-Portraitfoto vor der amerikanischen Flagge mit der gleichen Akkuratesse gescheitelt waren wie die von John F.   Kennedy. Ein gewisser Luigi Borgia betrieb in der italienischen Schweiz ein Wirtshaus, das über einen Eintrag in den eidgenössischen Gelben Seiten bei Google gelandet war, und schließlich präsentierte ein Oleg Borgia in Rußland auf seiner Seite eine Reihe von Frauen, die allesamt sehr jung und schön waren.
    Oliver klickte Swetlana an, die mit schmaler Taille und |123| kleinen spitzen Brüsten glühbirnengelb angeleuchtet auf einem Sofa posierte. Vermutlich war die Aufnahme in einem Hotelzimmer entstanden, denn der Teppichboden war mit braunen und orangefarbenen Kreisen gemustert und in etwa so trist, wie man sich

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