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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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hinab auf die Knie und bedeckte Bauchnabel und Scham gerade so eben. Obwohl die Pose der Göttin nicht eigentlich lasziv war, fühlte sich Do provoziert. Schrödinger ging zu weit.
    Sie sagte: »Ich kann nicht länger bleiben, sonst schaffe ich meine tägliche Runde nicht.«
    Er entschuldigte sich. »Wenn ich von etwas begeistert bin, verliere ich manchmal das rechte Maß. Das ist ungehörig. |157| Ich hoffe sehr, daß Sie nicht das letzte Mal hier waren. Die Sache mit dem Schweinebraten betrachte ich hiermit als fest verabredet.«
    Sie verließ den Raum, aber dann sagte sie: »Sie könnten mir vielleicht
doch
noch etwas zeigen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht ungehörig ist.«
    Seine Augenbrauen schwebten neugierig in die Höhe. »Aber was denn, Do? Ich zeige Ihnen, was immer Sie wollen.«
    »Sagen Sie das nicht so leichtfertig. Ich glaube, meine Bitte widerspricht bestimmten   … Anstandsregeln.«
    »Welche sollten das sein? Wir sind freie Menschen!«, verkündete er.
    »Ja, schon   …«
    »Do! Lassen Sie es raus. Worum geht’s?«
    »Nun ja. Sie müssen ehrlich sagen, wenn Ihnen das zu weit geht.«
    »Do, Do   …!«
    »Also gut! Könnten Sie mir vielleicht einen   …
Zaubertrick
zeigen?«
    Rosa Falten bildeten sich auf seiner Stirn. »Einen   …?«
    Sie sprach jetzt schnell, bevor sie den Mut verlor. »Nichts Großartiges. Irgendeinen kleinen Trick, der auch ohne großes handwerkliches Hintergrundwissen gelingen kann. Wahrscheinlich dürfen Sie das nicht, weil es bestimmten Statuten oder einem Ehrenkodex Ihrer Branche widerspricht. Ich würde aber natürlich dafür garantieren, daß ich diesen Trick meinerseits
niemals
weitergeben würde. Ich bräuchte ihn nur zur einmaligen Verwendung sozusagen. Und wenn es möglich wäre, etwas willentlich |158| zu vergessen, würde ich es danach tun. Oder hypnotisieren Sie mich. Ich überlasse mich Ihnen ganz und gar. Können Sie mir nicht irgendein Stichwort einprogrammieren, das mein Gedächtnis in Bezug auf bestimmte Dinge löscht? Bitte, finden Sie einen Weg. Sie
müssen
einen finden!«
    Nachdenklich knetete er mit der Hand an seinem Kinn herum. »Sie haben recht: Es widerspricht dem Ethos und den Standesregeln meines Berufs. Wenn irgendeiner meiner Kollegen davon erfahren würde, wäre ich geliefert.«
    Auf einmal war es Do unangenehm, daß sie so weit gegangen war. Sie kannte ihre jähen Stimmungsumschwünge. Sie sah an Schrödinger vorbei in den triefenden Garten. Von der magischen Aura, die der Zauberer dem Regen zugeschrieben hatte, fühlte sie nichts. Die Feuchtigkeit war nur ein schwaches Flimmern im eintönigen Grau dieses Tages. Sie spürte es jetzt deutlich: Der Tag hatte schlecht angefangen, und würde sich energielos und fade bis in den Abend schleppen: ein Spiegelbild ihrer selbst.
    Doch der Zauberer sagte: »
Einen
Trick gäbe es schon, den ich Ihnen zeigen könnte. Haben Sie denn noch etwas Zeit? Ich bräuchte ein bißchen, um sie   … einzuarbeiten. Ehrlich gesagt, es wäre mir sogar ein Vergnügen. Unter der Voraussetzung natürlich, daß die Sache für immer und alle Zeiten unter uns bleibt   …«

|159| 10
    Oliver hatte verlangt, eine halbe Stunde nicht gestört zu werden; er wollte die letzten Vorbereitungen für seine Zaubershow treffen. Seitdem stand er untätig herum. Zonen aus scharfen Nachmittagsschatten und steile Schächte gleißenden Junilichts durchschnitten das Eßzimmer. Gedämpftes Gekreische drang durch die geschlossene Tür. Im Garten vergnügten sich die Kinder mit so erstaunlich altmodischen Spielen wie Sackhüpfen und Eierlaufen. Do war der Meinung, daß es der Playstation- und Schokoriegelindustrie noch nicht gelungen sei, den natürlichen Bewegungstrieb von Siebenjährigen vollständig zu deaktivieren. Offenbar hatte sie recht damit. Oliver fragte sich aber, ob diese Regel auch für die natürliche Bereitschaft von Kindern galt, an Magie zu glauben. Vielleicht hatte die Industrie ihnen längst eingeimpft, daß es im Leben immer nur darum ging, im richtigen Moment den richtigen Knopf zu drücken.
    Schweigend betrachtete er den in die Ecke gerückten Eßtisch, auf dem er irgendwie arrangiert hatte, was er für seine Show benötigte. Es war nicht viel, und es war nicht zu übersehen, daß seine Tricks erbärmlich waren, beschissen |160| erbärmlich. Er hatte versucht, eine Art Konzept oder Dramaturgie für die Show zu entwickeln, mit der er ihre Mängel hätte überspielen können, aber auch das war ihm nicht

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