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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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hochwandigen Gläsern, farblich ineinander übergehend in perfekter |154| Schichtung, gekrönt von einer hervorragend gerundeten Kuppel Milchschaum, die der Zauberer mit ein paar feingeraspelten Splittern Zartbitterschokolade übertüpfelt hatte.
    »Do«, sagte er, »Sie sind ein Schatz!« Er nahm die Katze entgegen, ließ sie reichlich unsanft auf den Boden plumpsen und scheuchte sie mit einem sanften Fußtritt fort; er war barfuß. »Wenn das noch häufiger vorkommt, muß ich sie praktisch einsperren. Aber es würde mir das Herz brechen, ihr die Freiheit zu rauben, nur um sie vor sich selbst zu beschützen. Was für ein furchtbares Dilemma. – Nun, Do, was sagen Sie?
Ist
das ein Macchiato oder nicht?«
    Er war so zielstrebig und unaufhaltsam ins Wohnzimmer vorausgegangen, daß sie ihm praktisch hatte folgen
müssen
. Alles war so sauber wie gerade erst gewischt. Do dachte an ihren Kampf mit dem Staub, und daß sie selbst dabei verkam und verschlackte.
    »Wer macht Ihnen eigentlich das Haus so sauber? Es sieht fantastisch aus«, sagte sie.
    »Habe ich das noch nicht erzählt? Ich habe eine Perle von Haushälterin. Sie wohnt gleich nebenan und springt immer mal wieder rüber, um hier alles in Schuß zu halten, obwohl sie schon achtzig ist, mindestens. Ich liebe sie. Und außerdem ist sie eine begnadete Köchin. Sie müssen dringendst ihren Schweinebraten kennenlernen, Do. Ein Gedicht. Wissen Sie was: Wir finden einen Termin, und Sie und Oliver kommen zum Bratenfuttern. Großartig.– Do!, Sie sehen ja vollkommen verfroren aus«, schüttelte er in seiner enorm wachen, doch immer auch ein wenig behäbigen Art den Kopf.
    |155| »Es geht schon«, sagte sie. »Ich habe nicht damit gerechnet, daß es so kalt sein würde. Was für ein gräßliches Tiefdruckgebiet. Wir haben
Juni
. Aber bei Ihnen ist es angenehm warm.«
    Mit einer Handbewegung bat er sie, sich hinzusetzen, und schob ihr den Kaffee hin. »Ich halte nichts davon zu frieren, nur weil das Öl knapp wird. Ehrlich gesagt stehe ich sogar auf dem Standpunkt, daß wir die letzten Reserven möglichst schnell verpulvern sollten, damit wir in Punkto Energieversorgung endlich gezwungen sind, uns etwas Neues einfallen zu lassen. Je eher das Zeug weg ist, um so besser. Es stiftet nur Unfrieden.« Über der ausgeblichenen Jeans, unter deren Saum seine großen lachsfarbenen Zehen hervorlugten, trug er ein grobkariertes Baumwollhemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt waren. Er erhob sich wieder. »Soll ich Ihnen ein Handtuch für die Haare holen?«
    »Ach nein, es sind ja höchstens ein paar Tropfen. Die trocknen von selbst.« Warum sagte sie schon wieder nein?
Sag ja!
Sag, ich will! Sag ich, ich,
ich

    »Übrigens bin ich ein absoluter Regen-Fan!«, plauderte er weiter. »Ich verstehe einfach nicht, wie sich die Leute immerzu übers Wetter beschweren können. Andere Regionen der Welt leiden unter bitterster Wasserknappheit und endlosen Dürren. Solange man es sich zu Hause behaglich machen kann, spricht doch nichts dagegen, daß es im Sommer gelegentlich regnet. Regen hat eine magische Aura, und im Sommer ist sie besonders intensiv. Für mich ist’s außerdem gesünder, weil ich nur draußen rauche, und das läßt man bei Regen bleiben. Mein Arzt hat |156| mir die Zigarillos verboten und ich muß sagen, ich traue ihm. Im Innersten seiner Seele ist er ein Schamane. – Und? Was sagen Sie nun zu meinem Macchiato?«
    »Ja, köstlich. Sind diese Gläser auch Art déco? Sie sehen ein bißchen so aus. Was macht überhaupt Ihre Sammlung? Haben Sie ein paar neue Stücke erworben?«
    »Ich betrachte das alles hier nicht unbedingt als Sammlung, Do. Ich
lebe
so. Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.«
    Er stand auf und führte sie ins Medienzimmer, wo er vor einer etwa zwanzig Zentimeter hohen Elfenbeinstatue neben dem Wilcox-Gay Röhrenempfänger stehenblieb, die bei ihrem ersten Besuch noch nicht dort gestanden hatte. »Eine Aphrodite aus der Fabrikation von Ferdinand Preiss. Die Kabinettplastiken der Firma Preiss & Kassler waren in den zwanziger Jahren
der
Renner. Ich habe das wunderbare Stück vor kurzem ersteigert, für ein horrendes Geld natürlich, aber ich konnte nicht widerstehen.«
    Die kleine Statue mit den emporgereckten Armen war realistisch gearbeitet. Die linke Körperhälfte wurde von den minutiös nachgebildeten Stoffwellen einer Toga verhüllt, während die rechte sich dem Betrachter nackt und elfenbeinweiß darbot. Das halbseitige Gewand fiel bis

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