Schroedingers Schlafzimmer
war, katholischer Priester zu werden, und inzwischen mit zwei Frauen, die ihn beide irgendwie verehrten, als besessener Gärtner in der Nähe von Bernau mit exotischen Pflanzen experimentierte, hatte Oliver versichert, daß Mammutbäume auch in unseren Breiten Wuchshöhen von bis zu achtzig oder neunzig Metern erreichen würden. Oliver war begeistert gewesen von der Idee. Nein, er hatte keine Kopfschmerzen gehabt, da war sich Do sicher. Und wenn er Helma und Schrödinger tatsächlich mit der Behauptung, er leide bereits den ganzen Tag unter Migräne, aus dem Laden gewiesen hatte, so hatte er gelogen – aber aus welchem Grund?
Das Furchtbare war, daß Helma mit ihrer Theorie den Finger in eine offene Wunde legte, und natürlich wußte sie das. Do konnte nicht glauben, daß Oliver eine Geliebte |149| hatte, aber ebensowenig konnte sie es mit Sicherheit ausschließen. Männer brauchten Sex, und sie brauchten ihn in anderer Weise als Frauen. Die nackten abgezogenen Matratzen, gemustert mit blassen Rosetten, offenbarten die nüchterne Funktion des Bettes als Liegefläche. Drei unregelmäßige, ehemals rote Flecken verrieten, auf welcher Seite Do schlief. Sie fragte sich, ob es eine Art Gepflogenheit gab, nach der Frauen eher rechts oder eher links schliefen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Oliver eine andere liebte, so wie man sich probeweise einen Schmerz zufügt oder die Hand über eine Flamme hält. Wenn, dann hatte er es auf der heugrünen Couch in der Werkstatt getan. Vor vielen Jahren, noch vor den Kindern, hatten sie sich auf dieser Couch geliebt. Dort hatte Oliver sie nackt gezeichnet. Sie vergegenwärtigte sich seinen Körper: klein und schmächtig kniend zwischen den weißen gespreizten Schenkeln einer anderen. Der gebogene Rücken und das kleine bläuliche Gesäß, in hastiger nickender Bewegung. Ein Dienern ins Nichts. Die Nacktheit jener anderen konnte Do sich nur schwer vorstellen. Das Gesicht glaubte sie sich ausmalen zu können: die erhitzte erwartungsvolle Konzentration, vermischt mit dem Wissen (wenn sie denn alt genug für dieses Wissen war), daß Männer keine sehr zuverlässigen Begleiter auf dem zurückzulegenden Weg waren. Aber Oliver verfügte über Pflichtgefühl: Das Bestreben, es seiner Geliebten recht zu machen, würde stärker sein als die impulsiven egoistischen Wurzeln der Leidenschaft. Und doch sah Do in den Gesichtszügen jener anderen einen unterschwelligen Vorbehalt, die Option, sich selbst zu holen, was ihr zustand, wenn die Verbindung |150| abreißen sollte. Und in dem Moment begriff Do, daß sie sich selbst als Olivers Geliebte sah.
Sie zog dunkelblaue Damastbettwäsche auf, die ihrer Liebe immer sehr zuträglich gewesen war. Als sie das gemachte Bett sah, kam ihr das lächerlich vor, aber sie hatte nicht mehr die Energie, etwas daran zu ändern, von vorne zu beginnen. Sie war nicht in der Lage, der depressiven Schwere ihrer Stimmung zu entkommen. Sie beschloß, in die Küche zu gehen und sich einen Espresso zu machen, von dessen bitterer Schwärze sie sich vage irgend etwas erhoffte: ans Licht zu kommen, ihre Balance wiederzufinden. Vom Küchenfenster aus konnte man seitlich in den Garten sehen. Vor zwei Jahren hatte Oliver an dieser nach Südwesten ausgerichteten Seite des Hauses einen Weinstock gesetzt, nachdem er seinen Schulfreund Vico Müller dazu befragt hatte, der der Stelle seinen Segen gab. Die Pflanze trieb seit Wochen unermüdlich Ranke um Ranke aus sich heraus, und mit dem Anbinden war kaum nachzukommen. Auf Vico Müller, den Gärtner, traf am ehesten zu, was Schrödinger immer wieder behauptete: daß die Wirklichkeit sich nach
uns
richtete. Die Espressomaschine röchelte, rang nach Luft. Alles rang nach Luft, wollte leben. Do süßte den stark duftenden Espresso mit einem halben Teelöffel Zucker, trank ihn geistesabwesend im Stehen und spürte kurz darauf die belebende Wirkung, eine Welle gesteigerter Wachheit und Zuversicht, die, ausgehend von ihrem Bauch, Gehirn und Denken erreichte. Sie sah hinaus in den Regen und fühlte seine Notwendigkeit.
Aus der dunklen glänzenden Blätterstruktur des Efeus setzte sich etwas zusammen, ein Rascheln, das Form wurde. |151| Es war eine kleine Katze, es war Josephine. Wind kam auf, und die Birken bogen sich. Do spürte, daß
er
in ihrem Garten war, sie fühlte seine übermächtige Präsenz. Und Josephine, seine Botschafterin, schob sich durch die Efeuranken, dunkel und fließend, mehr Schatten als Tier. Mit tastenden Pfoten
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