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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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gelungen. Der Grund für dieses Scheitern war allerdings nicht inhaltlicher, sondern persönlicher Natur, wie ihm schließlich klar geworden war. Die Zaubershow zwang ihn auf eine unangenehme Weise dazu, über sich selbst nachzudenken und darüber, welche Wirkung er auf andere Menschen ausübte.
    Das Resultat dieser Überlegungen war eher bedrückend. Oliver kam zu dem Schluß, daß es ihm an Charme fehlte. Man konnte die Welt mit Perfektion beeindrucken oder mit Charme verführen. Als Optiker war er perfekt und auf Charme nicht angewiesen; aber als Zauberer würde er ohne Charme untergehen. Je länger er darüber nachdachte, um so selbstkritischer, ja selbstquälerischer wurde er. Es schien ihm offenkundig, daß seine Kinder ihn nicht liebten, sondern lediglich respektierten. Und er glaubte zu sehen, daß es in jenen Kreisen, in denen Do und er sich bewegten, ebenso war: Er wurde respektiert, aber ein schillernder Gast war er nicht. Es ging auch ohne ihn.
    Auf der Habenseite der Bilanz stand, daß er bereit war, Verantwortung zu übernehmen. Er versteckte sich nicht, wenn es darum ging, anderen gerecht zu werden. Aber
liebte
ihn irgend jemand dafür? Nein – und wie denn auch: Er liebte sich ja nicht einmal selbst dafür. Was er war, war er aus eigener Kraft, und er hätte stolz darauf sein können, was er im Leben erreicht hatte, aber er war es nicht. Genaugenommen hatte er überhaupt kein Verhältnis zu sich |161| selbst: weder ein narzißtisch libidinöses noch ein psychologisch abgeklärtes. Er sah sich als Teil einer deprimierenden Mehrheitsmenschheit, die ihr Leben nicht wirklich gestaltete, sondern im Rahmen des Gegebenen organisierte.
    Und auf einmal glaubte er zu wissen, warum er bis zum Schluß hartnäckig daran festgehalten hatte, heute zu zaubern. Nicht, um zu gewinnen, sondern um sich insgeheim zu beweisen, daß er ein Versager war. Oliver spürte ein schweres, flaues Gewicht im Magen. Es überstieg seine Fähigkeiten, eine Horde von Kindern glauben zu machen, in ihm stecke ein heimlicher Zauberer, ein schillernder Genius, der in der Lage wäre, sie in das große geheimnisvolle Land der Magie zu entführen. Es überstieg seine Fähigkeiten, von einer Horde von Kindern geliebt zu werden.
    Um nicht weiter untätig herumzustehen, schob er die Dinge auf dem Tisch hin und her. Ihm blieben noch ein paar Minuten, das Gewicht in seinem Magen war unerträglich. Er hatte sich vorgenommen, als erstes den achteckigen Zauberkompaß vorzuführen, weil zum Erfassen dieses eher unspektakulären Tricks eine gewisse Ruhe und Konzentration auf Seiten des Publikums erforderlich war. Dann wollte er auf einem großen silbernen Tablett, das er heute morgen gründlicher als jemals ein Brillenglas poliert hatte, seinen Kartentrick vorführen. Dessen Gelingen war eine Folge von logischen Gesetzmäßigkeiten, die jenseits des geistigen Horizonts von Siebenjährigen lagen. Ein Erfolg des Tricks war also ziemlich sicher; in seinem magischen Windschatten wollte Oliver den Zauberstab verwandeln. Er hoffte, daß dieses reine Geschicklichkeitsintermezzo |162| nicht vollkommen durchfiel. Die Öffnung und Wiederverschließung einer Kaugummizigarettenschachtel hingegen war sicher verblüffend. Es war nicht leicht gewesen, überhaupt Kaugummizigaretten aufzutreiben, früher hatte es sie an jedem Kiosk gegeben. Daran erinnerte er sich noch. Als letztes wollte Oliver seine drei Schnüre zur Hand nehmen. Dieser Trick sollte der Glanzpunkt des Programms werden.
    Die Schnüre hatte er aus dem Baumarkt. Mehr als zehn Rollen Schnur- und Seilmeterware hatten dort zur Auswahl gestanden. Es gab rote Nylonfasern in verschiedenen Stärken, und das leuchtende Rot schien ihm für den Trick besonders geeignet. Die Überlegung war falsch, eine weniger auffällige Farbe wäre besser gewesen. Außerdem war Nylon zu steif und zu glatt für den Trick. Als er mit den Schnüren übte, war die Schlaufenbildung ein großes Problem. Er glaubte aber trotzdem fest an den Trick, weil er dachte, daß allein die Tatsache, daß er mit Schnüren herumhantierte, die Kinder in gebanntes Schweigen versetzen würde. Aus drei unterschiedlich langen Schnüren drei gleichlange zu machen war mehr als magischer Schnickschnack. Es war eine Manipulation des Materiellen in der langen Tradition von Seiltricks. Das Kunststück klopfte an die Grenzen der Naturgesetze. Es war magisches Urgestein. Manchmal hatte Oliver in der Fantasie das anrührende Aufbranden von begeistertem

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