Schroedingers Schlafzimmer
gelingen, Ursel auf seine Seite des Konflikts zu ziehen. Am Ende würde sie zu ihrer Tochter halten, ganz gleich, was diese sich hatte zu Schulden kommen lassen. Ursel mochte eine notorische Tratschtante sein – eine Verräterin war sie nicht.
Oliver versetzte seinen Kaffee mit Milch. Ursel war bei ihren Betrachtungen von der Besichtigung der Reichtagskuppel inzwischen auf die Geflügelgrippe zu sprechen gekommen. Das thematische Bindeglied, falls es denn existieren sollte, war Oliver entgangen. Auf einmal begriff er, daß die sonderbaren Blicke, denen er sich seitens Ursel seit Tagen ausgesetzt fühlte, gleichsam bewiesen, daß er tatsächlich recht hatte: Sie nahm an, daß er Do betrog, und suchte in seinem Verhalten nach bestimmten Anzeichen dafür.
Er dachte darüber nach, was das für ihn bedeutete. Es schmeichelte seinem Ego auf eine bestimmte archaische Weise, daß Do und ihre Mutter ihm eine Geliebte zutrauten. Er entwickelte eine psychologische Theorie, die ihn dazu brachte, an dem verfahrenen Status Quo vorerst nicht zu rütteln. Dieser Theorie zufolge hatte seine »Geliebte« in Dos Bewußtsein insbesondere deswegen so hartnäckig Gestalt angenommen, weil sie die Nebenbuhlerin insgeheim begrüßte. Denn die Tatsache, daß Oliver eine Liebesaffäre hatte, bedeutete ganz einfach, daß er moralisch nicht besser dastand als sie mit ihrer Beziehung zu Schrödinger. Sie wollte nicht allein an dem traurigen Zustand |206| Schuld sein, in dem sich ihre Ehe befand. Und dieser Wunsch nach gemeinsamer Verantwortung für das Desaster offenbarte doch eigentlich etwas Versöhnliches, eine liebenswerte Do-Schwäche: Sie klammerte sich an ihn, Oliver, ihren Mann, an seine untilgbare Mitschuld, an seine Komplizenschaft im Niedergang.
Sah man von diesen partnerschaftlichen Komplikationen ab, die Ursels Besuch mit sich brachte, erwies sich ihre Anwesenheit in den Tagen vor Dos Geburtstag als nützlich und hilfreich. Sie war praktisch veranlagt und mühelos in der Lage, zwei Stunden am Stück engelsgeduldig mit einer unglaublich schlecht Deutsch sprechenden thailändischen Restaurantbesitzerin zu telefonieren, die sämtliche b-, v-, w-, p- und f-Laute wie ein kurz gegähntes Hua aussprach. Mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit (die in ihrer Generation bei weitem nicht die Regel war) schöpfte Ursel dabei die Möglichkeiten der modernen Telekommunikationstechnologien voll und ganz aus. Unter anderem stellte sie eine Dreier-Konferenzschaltung zwischen dem Thai-Restaurant, ihrem Hausapparat und Olivers Geschäftstelefon her. Die Verhandlungen erwiesen sich wegen der erwähnten Aussprachemängel der Thailänderin aber als fürchterlich umständlich: »Huaschierta Huisch.« – »Mittagstisch?« – »Nai, nai huaschiert …« – »Haschee? Ursel, wovon spricht sie?« – »Huaschierta Huisch.« – »Oliver, ich glaube, sie meint
pochierten Fisch
…« Die phonetische Detektivarbeit strapazierte Olivers multikulturelle Geduld über das ihm im Moment verkraftbare Maß hinaus. Er erklärte, mit allem einverstanden zu sein, und empfahl, Do anzurufen, deren Wünsche |207| in Bezug auf das Büffet maßgeblich seien und nicht seine. Das allerdings hatte seine Schwiegermutter bereits versucht, ohne Erfolg. Gnädig entließ sie Oliver aus der Büffetkonferenz mit der Information, Do habe ihr Mobiltelefon abgeschaltet oder befinde sich zur Zeit in irgendeinem Funkloch.
Die Bemerkung machte Oliver erst recht wahnsinnig. Er ließ sich in seiner Werkstatt auf das heugrüne Sofa fallen und hoffte inständig, für mindestens eine halbe Stunde von jeder Heimsuchung durch Kundschaft verschont zu bleiben. Die Tatsache, daß ihn die dunkel-sexuelle Aura des Wortes Loch aus der Bahn zu werfen drohte, war niederschmetternd. Zugleich machte sie ihm etwas deutlich: Was für fantastische Mutmaßungen Do und Ursel bei ihren abendlichen Küchengesprächen über
sein
Liebesleben auch immer anstellen mochten – die schlichte Wahrheit war,
daß er nichts und Do alles hatte
.
Je länger Oliver auf seinem alten, treuen Sofa über seine Lage nachsann, um so aussichtsloser erschien sie ihm. Die Situation, nüchtern analysiert, bot ihm zwei Möglichkeiten, stilvoll zu reagieren: Entweder er verließ Do, oder er legte sich tatsächlich eine Geliebte zu. Die erste Variante würde ihn in deprimierender Hinsicht schuldig werden lassen: Er würde seinen Kindern den Vater rauben, sie zwingen, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, Schule und Kindergarten
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