Schroedingers Schlafzimmer
in seinem Glas wie in einem Fieberthermometer. Er hätte liebend gerne herausgeschrieen, daß ihm etwas fehlte, daß er vielleicht krank war, aber soviel stand fest: Niemand hätte sich dafür interessiert.
Irgendwann sah er Do und ihre Mutter mit dem inzwischen eingetrudelten Balthasar Schrödinger im flackernden Licht einer Bodenfackel beisammenstehen. Daß sie angeregt und offenbar zwanglos plauderten, ging Oliver einfach zu weit. Es gab eine bestimmte Grenze persönlicher Anständigkeit, die Do seiner Meinung nach auch bei ihrer eigenen Geburtstagsfeier nicht überschreiten durfte. Er kippte ein weiteres Glas Tinto Fino hinunter. Dann dachte er, daß es keine sehr effektive Strafe für Do war, wenn er sich einfach nur still und leise betrank. Er mußte einen anderen Weg finden, ihr klar zu machen, daß es nicht ohne Folgen bleiben konnte, sich von Schrödinger ad eins bereitwillig bumsen zu lassen und ihn zweitens bei der ersten sich bietenden Gelegenheit auch gleich ihrer |214| Mutter vorzustellen. Offensichtlich wollte sie der (ahnungslosen?) Ursel für alle Fälle schon mal Olivers Nachfolger in der Rolle des Schwiegersohns präsentieren. Das konnte Oliver ihr nicht durchgehen lassen. Er verließ seinen Platz an der Bar, wenn auch nicht ohne vorher sein Rotweinglas noch einmal aufgefüllt zu haben. Den kurzen Slalom durch die Partygäste bewerkstelligte er halbwegs verlustfrei.
Schrödinger erkannte ihn und rief: »Oliver! Wie schön, Sie zu sehen!«
Oliver hörte Ironie heraus und entgegnete: »Wo haben Sie denn
Josephine
gelassen?«
Die Bemerkung weckte Ursels Neugier. »Wer ist Josephine?«
»Eine seiner Geliebten.«
Schrödinger nickte: »Bei Gott, Oliver, das ist wahr!«
Do trug ein glitzerndes Stretchtop, das ihre Brüste so eng umschloß, als wären sie vakuumverpackt. »Warum haben Sie Ihr Goldstück denn nicht mitgebracht? Sie hat das Terrain ja schon erkundet.«
»Oh, sie hat mir die kalte Schulter gezeigt, als ich gegangen bin.«
Ursel sagte: »Ist sie jung, Ihre Josephine? Vermissen Sie sie?«
»Josephine und ich, wir lassen uns unsere Freiheiten.«
»Sie haben recht. Ich wünschte, ich wäre auch so modern gewesen!«
»Warst du doch«, sagte Do gut gelaunt.
Oliver erkannte, daß alle Bemerkungen voller ironischer Anspielungen steckten, die ihn ausschlossen. Do amüsierte |215| sich prächtig. Und es war zudem offensichtlich, daß Ursel über die Affäre zwischen ihrer Tochter und Schrödinger im Bilde war und sie billigte. Er bemühte sich, ebenfalls ironisch zu sein, in der vagen Hoffnung, daß es so klang, als sei es ihm scheißegal, was Do trieb. »Haben Sie Ihrer Josephine gegenüber denn kein schlechtes Gewissen,
hier
zu sein?«
Um Ursel nicht in Verlegenheit zu bringen, flüsterte Do schnell: »Mutter, Josephine ist ein
Kätzchen
!«
»
Oliver
!«, trällerte Ursel amüsiert, »da hast du mich aber
rein
gelegt, als du von einer
Gelieb
ten gesprochen hast.«
Sie war tief dekolletiert. Ihr Schlüsselbein spiegelte jede ihrer affektierten Gesten motorisch wider. Oliver spürte, daß es ihm schwerfiel, dieses Schlüsselbein und überhaupt ihr Dekolleté
nicht
anzustarren. Als ihm dadurch klarwurde, daß er die erotische Sprache ihres alternden Körpers noch verstand, packte ihn Entsetzen. Er wandte sich ab und sagte zu Schrödinger: »Ich dachte, Sie hassen es, weibliche Wesen einzusperren.«
»Oh, ja«, nickte der Zauberer, »das stimmt auch. Verraten Sie’s nicht weiter, aber die Terrassentür ist nur angelehnt. Josephine weigert sich, die Katzenklappe zu benutzen, die ich vor ein paar Wochen habe einbauen lassen. Meine Erziehungsversuche schlagen fehl, weil ich zu inkonsequent, zu nachgiebig bin. Doch was sage ich – das ist es ja eben: Was auch immer wir hervorbringen wollen, wir erschaffen immer nur uns selbst.
Wir
sind es, die erzogen werden müssen.«
Devot schlug Do die Augen nieder; der Satz erregte sie. Ursel tat so, als habe es sich bei Schrödingers Bemerkung |216| um einen harmlosen pädagogischen Rat gehandelt, und gab irgend etwas in der Art von sich, wie wichtig es gerade im Moment für Jenny sei, überzeugende Vorbilder zu haben. Die Bemerkung schockierte Oliver. Jenny würde die nächste sein, die ihn mit irgendeinem dahergelaufenen Bengel demütigen würde. Er hatte genug gehört. Sein Weinglas war leer, ohne daß er sich erinnern konnte, getrunken zu haben. Er spürte, daß er inzwischen einen nicht zu leugnenden Grad an alkoholbedingter Benebelung
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