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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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fraulicher Erfahrungen einzutreten.
    Schließlich sagte Do: »Ich bin im Moment nicht glücklich, Mama. Ich komme trotzdem zurecht. Glücklich und unglücklich sind keine Kriterien für unser Leben.«
    »Das sehe ich anders, Dori. Versteck dich nicht hinter solchen Sätzen. Warum sagst du mir nicht einfach was los ist? Hat Oliver eine Geliebte?«
    Sie zögerte und sagte: »Offenbar.«
    »Du weißt es nicht?«
    »Er hat es zugegeben. Ich weiß nicht, wer sie ist.«
    Auf ihre alten Tage hatte sich Dos Mutter eine neue Art des beredten Schweigens zugelegt: Einem kurzen vernehmlichen Atemstoß folgte so lange kein weiterer, daß man es mit der Angst bekam, es könnte ihr letzter gewesen sein. Ihre Kehle erschlaffte wie die eines Reptils, und für Momente sah man ihr die Lebensjahrzehnte mit eklatanter Deutlichkeit an. Unvermittelt sagte sie: »Schlaft ihr noch miteinander?«
    |196| Es schockierte Do, ihre Mutter geradeheraus über Sex reden zu hören. Es war ihr nie gelungen, sich ihre Eltern als Liebespaar vorzustellen, als sexuell eigenständige Wesen, die über die gleichen körperlichen Erfahrungen verfügten wie sie selbst.
    »Seit ein paar Monaten nicht mehr.«
    »Das ist noch nicht so lange.«
    »Laß uns aufhören, über diese Dinge zu reden.«
    »Warum?«
    Die Unentschiedenheit, mit der Dos Gedanken sich formten, übertrug sich auf ihre Fahrweise. Zögerlich ließ sie den Hyundai über eine Kreuzung rollen. »Weil wir unterschiedliche Vorstellungen von Glück haben.«
    »Das glaube ich nicht. Du warst immer ein versonnenes Kind. Du bist bis heute versonnen und, entschuldige, ein wenig naiv. Aber das ändert nichts an der schlichten Tatsache, daß du eine Frau bist.«
    »Eine Frau? Mutter, was ist denn
eine Frau

    »Ich werde es dir sagen: Wir werden nicht glücklich, sondern wir werden glücklich gemacht.«
    Dos Unsicherheit schlug in helle Empörung um: »Das ist nicht wahr! Das ist das dümmste, was du je gesagt hast. Es ist nicht nur dumm, Mama, es ist widerlich. Wie
kannst
du so etwas sagen?«
    Sie fuhren unter hohen sommerlichen, prall mit Blättern und Licht gefüllten Baumkronen her. Es waren Vorboten der märkischen Alleen, die ins Umland von Berlin führten. Do gefiel die Sanftheit, mit der sie sich in weiten Bögen durch die Landschaft zogen. Vor sechs Jahren hatten Oliver und sie zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, |197| sich hier ein Haus zu kaufen, und nach dem Tod von Olivers Mutter damit begonnen, nach einem zu suchen. Do mochte das Siedlungshaus aus den zwanziger Jahren gleich, das niemand haben wollte, weil der Putz zementgrau und pockennarbig war, die Fenster zugig und der Garten verwildert. Nachdem die geglätteten Wände in einem schönen hellen Farbton erstrahlten, der auf der Farbpalette die Bezeichnung
Malaga 17
getragen hatte, wurde sein warmherziger Charakter mit der kleinen Eingangsveranda und dem Walmdach sichtbar. Do dachte an die Hoffnungen und Erwartungen bei der Renovierung des Hauses, Oliver und sie waren sehr glücklich gewesen.
    Sie hatten alles renoviert bis auf den Keller. Alle Gegenstände, die sie nicht mehr brauchten, wanderten dort hinunter, in ein staubiges Reich aus vollgestopften Baumarktregalen. Manchmal fühlte Do sich von der Fülle des nutzlos Gewordenen dort unten erdrückt. Sie sah den Tag mit Schrecken kommen, da sie all die Regale ausmisten mußten, um wieder Platz zu schaffen für ein nächstes Jahrzehnt des Verbrauchens, Verstauens und Vergessens. Aber vielleicht würde es dieses Jahrzehnt ja nie geben.
    Sie bog in eine Querstraße und ließ den Wagen an einer alten Betonlitfaßsäule vorbeirollen, die nicht mehr benutzt wurde. Ihr spitzes Kegeldach hatte eine dicke Schicht märchenhaftes Moos angesetzt. Do hob den Arm und wies zum Ende der Straße. »Wir haben einen neuen Nachbarn. Er wohnt dort, in dem weißen Haus.«
    Ihre Mutter wandte den Kopf zur Seite und ließ das Gebäude im Seitenfenster vorüberziehen. »Sehr kühl. Aber
très élégant

    |198| »Er ist unverheiratet. Seine ganze Liebe gilt seinen Möbeln und der Kunst. Er ist Zauberer.«
    Ursel sagte: »Ich nehme an, in diesem Wagen darf man nicht rauchen. Aber wir sind ja gleich da. Was meinst du übrigens damit: Zauberer? Ist er berühmt?«
    Dos Puls beschleunigte sich, als sie von Schrödinger sprach. »Er ist Mitte fünfzig. Oliver behauptet, er sei älter. Wir wissen nicht so genau, was er bisher gemacht hat. Offenbar hat er es nicht nötig, irgendwo aufzutreten.«
    »Und woher

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