Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
Vom Netzwerk:
zu wechseln, Jonas würde wieder mit dem Bettnässen beginnen und Jenny Männer für alle Zeiten hassen und sich trotzdem – unbewußt, aber erbarmungslosen psychologischen Gesetzmäßigkeiten gehorchend – einen Mann suchen, der sie ebenfalls verlassen würde.
    |208| Sich eine Geliebte zuzulegen schien da eine prickelnde, reizvolle und moralisch vertretbare Alternative. Das Schlimmste, was einem im Zusammenhang mit einem Liebesverhältnis widerfahren konnte, so sagte Oliver sich, war, daß es aufflog und man kleinmütig zu Kreuze kriechen und einräumen mußte, eine Geliebte zu haben. Aber
genau das
war bereits geschehen. Er hatte ein Geständnis abgelegt, hatte sich gleichsam präventiv für schuldig erklärt, und auf einmal wurde ihm bewußt, wie unsinnig es wäre, ein Verbrechen
nicht
zu begehen, das man bereits gestanden hatte – was für eine kolossale Verschwendung von Ehrlichkeit!
    Do hielt ihn für schuldig, und also hatte er ein Recht darauf, auch schuldig zu sein. Fragte sich nur, wie schuldig werden? Alle Gedankenspielereien um Liebesaffären hatten den Schönheitsfehler, rein hypothetisch zu sein. Als er mit seinen Überlegungen an diesem Punkt angekommen war, bewertete Oliver die bevorstehende Party zu Dos achtunddreißigstem Geburtstag neu. Von einer verlogenen Pflichtveranstaltung, die Do und ihn dazu zwang, Freunden und Bekannten eheliche Eintracht und Harmonie vorzugaukeln, mutierte das Fest in seiner Fantasie unversehens zu einer konspirativen Angelegenheit. Während Do ahnungslos ihren Geburtstag beging, würde für ihn jede Plauderei mit einer Vertreterin des anderen Geschlechts voller geheimer Signale sein, voller verschlüsselter Botschaften.
    Das malte sich Oliver auf seinem Sofa liegend aus. Irgendwo hatte er einmal gelesen, daß sich die meisten Affären und Liebschaften nicht in den kühlen zweckorientierten |209| Sphären der Büros anbahnten (wie allgemein vielleicht vermutet wurde), sondern im engsten Freundes- oder Bekanntenkreis. Offenbar stimmte das, wie der Fall Do bewies. Und Oliver fragte sich, warum nicht auch er von solch erstaunlichen Phänomenen des Zeitgeistes profitieren sollte.
     
    Der Samstagabend war lau, trocken und in jeder Hinsicht ideal für ein Gartenfest. Tagsüber waren Tische und Bänke angeliefert worden, und wegen einer am Vorabend prognostizierten dreißigprozentigen Regenwahrscheinlichkeit stellte eine Spezialfirma im hinteren Teil des Gartens ein sturmfestes Zelt auf. Von der Regenwahrscheinlichkeit wollte morgens aber keiner der Radiosprecher mehr etwas wissen. Statt dessen hieß es, Hoch Hekate werde die Temperaturen am Wochenende noch höher treiben, als ohnehin schon vorhergesagt. Aber das Zelt, eine wüstenpalastartige Konstruktion, hatte etwas Großzügiges und gab dem Fest einen mondänen Charakter.
    Gegen sieben wurde mit emsiger asiatischer Betriebsamkeit das von Ursel per Telefon komponierte thailändische Duftreisbüffet mit seiner unüberschaubaren Anzahl von Schüsseln und Schälchen voller Suppen, dampfenden Currys, Erdnußdips und Chutneys in allen Farben geliefert. Oliver entkorkte am Getränketisch die ersten Weinflaschen. Sein Plan, bei der Party irgendeine Affäre einzufädeln, der ihm auf seinem Werkstattsofa so klar und einleuchtend erschienen war, erwies sich jetzt als vollkommen vage – ein Fantasiekonstrukt, das sich beim Zusammentreffen mit der Realität in nichts auflöste.
    |210| Gleich zu Beginn nämlich, als er noch beim Weinflaschen-Entkorken war, stürzte sich Helma Kienapfel auf ihn. Oliver konnte ihre massigen Schenkel gut sehen, weil sie einen Minirock trug. Sie ließ sich ein großes Glas Tinto Fino eingießen – Spanier waren gerade in Mode im Freundeskreis. Sie sei fix und fertig und am Boden zerstört, sagte sie und trank das erste Glas in den folgenden Minuten erstaunlich schnell aus, weil ihre Kamelie unwiderruflich eingegangen sei! Dabei hatte sie die Pflanze, eine Mathotiana Rubra, zweimal ganz und gar prächtig zum Blühen gebracht. Aber trotz des regelmäßigen Abbrausens mit enthärtetem lauwarmem Wasser und einer speziellen Mischung aus Stickstoff- und Eisendünger hatte die Kamelie in diesem Frühjahr auf einmal alle Knospen abgeworfen – ohne jeden erkennbaren Grund. Und heute nachmittag nun hatte Helma einsehen müssen, daß es zwecklos war, weiter an dem armen Busch mit den gelb gewordenen, chlorotischen Blättern herumzudoktern, und ihren ganzen botanischen Stolz samt Wurzelballen erschüttert aus dem

Weitere Kostenlose Bücher