Schroedingers Schlafzimmer
wißt ihr, daß er Zauberer ist? Jeder kann von sich behaupten, Zauberer zu sein.« Sie schob die Zigarettenschachtel zurück, die sie nach Art besonders süchtiger Raucher aus der Handtasche geholt hatte, um sie wenigstens einmal betrachten zu können.
Do sagte: »Er ist kein Hochstapler. Er hat mir einen kleinen Trick für Jonas Geburtstag verraten.«
»Das ist sehr ungewöhnlich. Zauberer verraten keine Tricks.«
»Oliver hat mir die Hölle deswegen heiß gemacht.«
»Sei froh. Dann ist er noch eifersüchtig.«
Do ärgerte sich über die Bemerkung. »Warum habe ich eigentlich das Gefühl, daß du auf
seiner
Seite stehst und nicht auf meiner.«
»Glaube mir, Dori, ich beurteile die Dinge
sehr
neutral. Was erwartest du denn von mir? Daß ich mich schuldig fühle, weil du nicht glücklich bist.«
»So habe ich es nicht gemeint, Mama.«
»Doch hast du. Und wahrscheinlich hast du sogar recht. Sei nicht immer so defensiv.«
»Ich bin ein wenig überreizt«, sagte Do.
|199| »Ja, Liebes, das sehe ich. Jetzt bin ich ja da und werde dich entlasten. Ich werde auf gar keinen Fall zulassen, daß du in den kommenden Tagen einen einzigen Handgriff machst!« Sie legte jenen betriebsamen Ton an den Tag, der für sie typisch und Ausdruck eines manischen Tatendrangs war, an dem sie sich selbst am meisten berauschte. Do folgte dem Bogen der Straße, an deren Ende ihr Haus zwischen den Stämmen der Linden auf dem Gehweg sichtbar wurde. Kurz vor der Einfahrt holte Ursel die Zigarettenschachtel wieder heraus.
»Darf ich dich noch etwas fragen, Dorischatz?«
»Ja, sicher …«
»Aber werde nicht gleich wieder ärgerlich.«
»Nein. Was denn?« Do schlug das Steuer ein, um den Wagen zwischen den beiden Torpfosten hindurchzumanövrieren.
Ursel sagte: »Hast du … eine Affäre mit ihm?«
»Mit wem?«
»Na, diesem Zauberer.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich höre da so etwas heraus. Ich bin deine Mutter.«
»Nein. Es ist nichts.«
»Ganz sicher?«
Der Hyundai war zum Stehen gekommen, und Do schaltete den Motor ab. »Herrje, wieso glaubst du mir nicht? Wieso glaubt mir eigentlich niemand!? Oliver denkt genauso wie du. Nicht zu fassen! Könnt ihr euch denn nicht vorstellen, daß man einen Menschen einfach nur nett findet, freundlich, hilfsbereit und charmant,
ohne
etwas von ihm zu wollen?«
|200| Ursel steckte sich die makellose weiße Zigarette in ihren knittrig umfältelten Mund. »Einen Mann?«
»Ja, Mama. Einen
Mann
«, bestätigte Do.
Ihre Mutter öffnete die Wagentür und sog, nachdem sie die Zigarette angezündet hatte, den ersten Zug tief in die Lunge. Dann, als wollte sie die Silben auf den Qualmpäckchen irgendwohin fliegen lassen, sagte sie kopfschüttelnd: »Nein, mein Schatz. Kann ich nicht.«
|201| 12
Seit Dos Mutter das Haus mit ihrer Anwesenheit parfümierte, fühlte sich Oliver in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr recht wohl. Aus irgendeinem Grund, der ihm nicht ganz klar war, kam er sich auf eine bestimmte Weise beobachtet vor, aufmerksam und verstohlen zugleich, in etwa so, als streife er den ganzen Tag im Pyjama durchs Haus. Wenn er nach dem Aufstehen die Küche betrat, um sich in der köstlichen Sechs-Uhr-Stille eines Sommermorgens eine Tasse Kaffee zu brühen und in aller Ruhe den Frühstückstisch zu decken, war die alte Dame, gewandet in einen samtroten mit schillernden Goldfäden durchwirkten Morgenmantel, immer schon da. Offensichtlich brauchte sie keine nennenswerten Mengen Schlaf, denn auch abends zeigte sie niemals erkennbare Anzeichen von Müdigkeit. Sie erhob sich erst, wenn man sie mehr oder weniger unmißverständlich dazu aufforderte, beziehungsweise sich selbst für erledigt und bettreif erklärte.
Ursel war jederzeit sowohl konversationswillig als auch -tauglich. Oliver blieb nichts anderes übrig, als sich bereits am frühen Morgen mit so bedeutenden Fragen zu |202| befassen wie der nach dem optimalen Besichtigungszeitpunkt für die Reichstagskuppel, und ob er diese denn gelungen fände? Sie solle ja sehr beeindruckend sein, sagte Ursel. Dann fügte sie einschränkend hinzu, in ihrer Eifelnachbarschaft habe es auch manche Kritik daran gegeben. Gaby Schnellheim zum Beispiel, eine ihrer engsten Freundinnen, habe die Kosten des Bauwerks angeprangert. In ihrer allseits bekannten, ziemlich lockeren Art habe sie die gläserne Konstruktion eine begehbare Titte genannt. Das Ordinäre dieser von seiner Schwiegermutter en passant wiedergegebenen Sottise war für Olivers
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