Schrottreif
Sie sich hier nie wieder blicken!«
Aus seinem Geschäft stürzte Hugo Tschudi. Was, hier verkehrt der auch?, wunderte sie sich. Dann sah sie Hugos Gesicht. Sein überlegenes, verschlagenes Lächeln. Sie ging rasch weiter. Womit hatte Tschudi Schiesser wohl so in Rage gebracht? Jedenfalls, daran zweifelte Valerie nicht, hatte er es genossen. Nein, dachte sie, Hugo Tschudi war nicht nur ein eigenbrötlerischer Mensch, er war ein sehr unsympathischer Mensch, der in ihr Unbehagen auslöste. War er darüber hinaus ein Dieb? Sie wünschte, er würde FahrGut und ebenso ihren Mechaniker in Ruhe lassen. Ihn einfach ein für alle Mal rauswerfen konnte sie nicht, dafür hatte sie keinen handfesten Grund und dafür war auch der Streit mit Angela Legler noch nicht lange genug her. Die Sache lag ihr ein wenig im Magen. Man hatte ja schließlich einen Ruf zu verlieren.
Valerie ging weiter. Eine Frau fuhr auf einem Rad an ihr vorbei. Angekoppelt war ein kleiner, mit durchsichtiger Folie bedeckter Anhänger, in dem ein kleines Kind saß. Der wurde bei mir gekauft, registrierte Valerie beiläufig. Aber sie hat dem Kind den Helm ja ganz falsch aufgesetzt. Sie erinnerte sich an eine SUVA-Werbung für Velohelme. Eine ganze Familie, alle mit Helmen ausgestattet – und jeder einzelne saß falsch. Hatte keinen Wert, sich darüber aufzuregen.
3. Teil
Die Ladenglocke ertönte, herein kam Frau Zweifel. Frau Zweifel fuhr nicht Velo. Sie war 80 Jahre alt. Sie wohnte im selben Haus, einen Stock über FahrGut. Valerie freute sich, sie zu sehen. Vor über 30 Jahren war sie bei ihr zur Schule gegangen. Frau Zweifel war im Quartier, im Ämtlerschulhaus, Primarlehrerin gewesen. Längst war sie pensioniert. Auch wenn sich das Quartier in den letzten Jahrzehnten stark verändert hatte, Leute weggezogen waren, andere sich hier niedergelassen hatten, kannte Salome Zweifel bis heute viele der Viertelbewohner. Einige hatten bei ihr lesen und schreiben gelernt. Nicht nur Valerie, auch ihr ungeliebter Kunde Hugo Tschudi, Angela Leglers Mann und sogar Paul Schiesser waren ihre Schüler gewesen. Sie wohnte in der eigenen Wohnung und dachte nicht daran, ins Altersheim zu ziehen. Zweimal pro Woche lieferte Pro Senectute Mahlzeiten, die Frau Zweifel nur aufzuwärmen brauchte; eine Putzfrau hielt die Wohnung sauber und bügelte, und wenn sie krank war, bestellte sie jemanden von der Spitex. Zudem hatte ihr Hausarzt, Doktor Hefti, seine Praxis im selben Haus. So kam sie sehr gut zurecht, obwohl ihr diese und jene Altersgebrechen zu schaffen machten. Aber im Kopf war sie völlig klar. Und dann gab es noch Raffaela, ihre Großnichte. Salome Zweifel war nie verheiratet gewesen und hatte keine Kinder. Aber Raffaela, die Enkelin ihres Bruders, schaute regelmäßig bei ihr vorbei.
»Guten Morgen«, grüßte sie, »haben Sie gerade viel zu tun?« Obwohl sie Valerie als Siebenjährige gekannt hatte, nahm sie es sich nicht heraus, sie zeitlebens zu duzen, und Valerie war ihr dankbar dafür.
»Nein«, erwiderte Valerie, »heute läuft nicht viel.« Sie hatte ein Rad in den Bock eingespannt, dessen Lenker sie auswechseln musste. Es war ein Citybike, das statt eines sportlichen Mountainbike-Lenkers einen bequemen Hollandlenker bekommen sollte. Sie rückte für Frau Zweifel einen Stuhl zurecht. »Ich freue mich, wenn Sie mir ein wenig Gesellschaft leisten.«
Markus und Luís waren im hinteren Teil der Werkstatt zugange. Frau Zweifel grüßte unsicher nach hinten. Luís lächelte, Markus reagierte nicht. Typisch, dachte Valerie genervt, dieser Stockfisch.
Valerie hatte eben eines der Bremskabel des Vorderrads mit einem Inbusschlüssel gelöst, nun griff sie nach einem Gabelschlüssel und machte sich am Schaltkabel des Hinterrads zu schaffen. »Wie läufts denn in Ihrem Kurs?«
»Gut«, gab Frau Zweifel Auskunft. »Das ist gar nicht so schwierig mit diesem Internet, wie ich gedacht hatte. Das war eine gute Idee von Raffaela.«
Valerie lachte. Sie kannte Frau Zweifels Großnichte nur flüchtig, denn Raffaela Zweifel war keine Radfahrerin. Sie war eine gut aussehende junge Frau Mitte 20. Typ Partygirl. Fröhlich, lebenslustig – und bewundernswert souverän auf ihren High Heels. Raffaela Zweifel, die in der Nähe als Sekretärin arbeitete, war weit davon entfernt, sich um ihre Großtante zu kümmern, indem sie sich mit ihr zum Kuchenessen traf. Das hätte sie zweifellos gelangweilt. Sie hatte sie dazu angestiftet, sich einen Laptop zu kaufen, und sie eifrig in
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