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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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wirklich rentierte, dafür waren der Beratungsaufwand zu groß und die Marge zu tief, aber sie betrachtete es als eine Investition in die Zukunft. Möglicherweise würde ja der Sechsjährige, der den Laden als glücklicher kleiner Ordnungshüter verließ und auf dem Heimweg ständig »Stopp!« und »Fahrausweiskontrolle« rief, in zehn Jahren wiederkommen und sein Geburtstagsgeld oder den Lehrlingslohn in ein super Mountainbike investieren.
     

2. Teil
    Kurz nach 16 Uhr bugsierte Valerie so höflich wie möglich den letzten Kunden aus dem Laden und machte den Kassenabschluss. Der Umsatz war gut. Markus ging auf die Diebstahlcheckrunde. Obwohl der Laden die ganze Zeit über voll gewesen war und sie unmöglich dauernd jede Person kontrollieren konnten, die sich im oberen oder unteren Stock umsah, war nichts weggekommen. Interessant, dachte Valerie. Heute war Tschudi nicht hier und es ist nichts abserviert worden. Ihr Argwohn gegen ihn wuchs. Aber sie behielt ihn für sich. Auch Markus gegenüber würde sie nichts erwähnen, da er sich ja mit Hugo angefreundet hatte. Ihr kam ihre Verabschiedung in den Sinn: ›Also, bis Samstag.‹
    Irgendetwas musste sie unternehmen, wenn die Diebstähle so überhandnahmen. Am Donnerstag hatte ein Regenponcho für 104 Franken gefehlt, am Freitag ein zusammenfaltbares Körbchen und ein Kilometerzähler. Machte zusammen ebenfalls einen Hunderter.
    Sie wählte den längeren Heimweg entlang des Flusses, mit der Extrarunde über die Sihlhölzlibrücke, und ließ Seppli tüchtig rennen. Der Hund liebte das Wasser. Er sauste das Uferbord hinunter und testete die Wassertemperatur. Es war ihm zu kalt. Stattdessen schnappte er sich einen Ast, der dreimal länger war als er selbst, und jagte damit davon, ohne Rücksicht auf eine Frau mit Kinderwagen, die ihnen entgegenkam und im letzten Moment ausweichen konnte. Sie warf Valerie einen vorwurfsvollen Blick zu, aber diese hatte keine Lust, sich zu entschuldigen.
    Zu Hause legte sie sich in die Badewanne und schrubbte gründlich die schwarzen Spuren von den Händen. In den Anfangszeiten hatte sie ein Experiment mit Kaffeesatz als Seifenersatz gemacht. Sie schüttelte belustigt den Kopf, was für Ideen sie gehabt hatte. Er hatte zwar seinen Zweck erfüllt, aber hinterher waren überall Kaffeesatzbrösel gewesen. Sie nahm ziemlich schnell wieder die Spezialseife. Nach dem Bad zog sie sich an, beobachtet von Seppli, der zu spüren schien, dass das ein Outfit war, das für ihn nichts Erfreuliches verhieß. Rock, schmale Schuhe, Lippenstift. Die braunen Locken, die tagsüber am Hinterkopf straff zusammengebunden und unordentlich hochgesteckt waren, fielen ihr nun ins Gesicht. In der Tat. Mehr als das Versprechen, sie würde ganz gewiss wiederkommen, gab es für Seppli nicht. Valerie griff nach der Handtasche und verschwand.
    Sie klingelte zwei Straßen weiter bei Lina. Lina Kovàts und Valerie waren seit den Schulzeiten miteinander befreundet. Lina lebte in einer großen Einzimmerwohnung, die sehr sparsam eingerichtet war. Ein paar schöne Möbelstücke, eine Wand voll Bücher, CDs und DVDs, ein großer Gabbeh-Teppich. Nichts lag herum. Valerie, die immer gegen ihre unordentliche Ader ankämpfte, gegen viele kleine Dinge, die herumlagen, Gott weiß, woher sie alle kamen, bewunderte das. Lina hatte Sprachwissenschaft studiert und arbeitete als Korrektorin bei einer Zeitung. Daneben malte sie wilde Bilder, fast grob warf sie manchmal die Farbe auf die Leinwand. Für Valerie waren diese zwei Seiten ihrer Freundin ein Phänomen: Linas Genauigkeit beim Korrekturlesen, ihre Liebe für sprachliche Details, ihr Gespür für stilistische Feinheiten – und die Heftigkeit ihrer Bilder, das Großflächige, die harten Kontraste. Lina zuckte dazu nur die Schultern. ›Es ist halt so‹, meinte sie. ›Ich mache beides gern.‹ Sie hatte ein kleines Atelier am Stadtrand, hell, mit Aussicht ins Grüne, aber im Winter kaum heizbar. Das war Lina egal, dann malte sie in dicke Pullover gehüllt und trank heißen Tee. Valerie besaß zwei Bilder von ihr. Eines war groß, in Orange, Rot und düsterem Schwarz-Weiß gehalten, dominierte eine Wand ihres Wohnzimmers und flößte manchem ihrer Gäste Unbehagen ein. Lina hatte es ihr geschenkt. Das andere hatte Valerie quasi gerettet. Manchmal übermalte Lina nämlich ihre Bilder, wenn sie nicht zufrieden war, und dieses kleinformatige Bild in Blau- und Brauntönen hätte dieses Schicksal ereilt, als Valerie Lina im Atelier

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