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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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besuchte. ›Nein, gib es mir, ich kauf es dir ab‹, hatte sie gebeten Und Lina überließ es ihr für 500 Franken. Sie war groß und dünn und trug einen eckig modellierten Pagenschnitt, dessen Fransen exakt bis in die Mitte der Stirn reichten. Ihre Haare waren immer gefärbt. Manchmal pechschwarz, manchmal künstlich orange, heute war es ein sehr gelbes Blond. Bloß dieses weiche warme Braun, das ihre Naturfarbe war, trug sie nie.
    ›Warum nicht?‹, hatte Valerie sie gefragt.
    ›Das ist meine Farbe. Die geht niemanden was an.‹
    ›Aber du hast ja so auch nichts davon‹, hatte Valerie eingewendet.
    Aber Lina war so. Immer auf Abgrenzung, auf Schutz bedacht. Immer sorgfältig daran, eine Fassade zu bewirtschaften und sich dahinter zu verstecken. Natürlich hatte sie überhaupt keine Begabung, ihre Bilder zu vermarkten. In Situationen, in denen es günstig gewesen wäre, ein bisschen Reklame für sich zu machen oder wenigstens einigermaßen zugänglich zu wirken, gab sie sich spröde und störrisch. Valerie, in dieser Hinsicht unbefangen, hatte vor Jahren eine erste Ausstellung in einem Restaurant organisiert. Sie war in der Lokalpresse sehr positiv besprochen worden und Lina hatte einige Bilder verkauft. Später vermittelte Valerie ihr eine Ausstellungsmöglichkeit in einer Galerie im Kreis zwei; der Galerist war einer ihrer Kunden.
    Lina und Valerie waren zur Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes eingeladen. »Magst du überhaupt hingehen?«, hatte Lina gefragt.
    »Aber ja«, hatte Valerie versichert, »wäre ja noch schöner, wenn ich mich nicht mehr aus dem Haus traute. Heute Abend werden wir uns tüchtig amüsieren!«
    Gerade als sie aufbrechen wollten, klingelte das Telefon: »Szia«, hörte Valerie Lina sagen. Es war also ihr Bruder, der in Genf lebte. Lina hörte eine Minute zu, sagte schließlich: »Sajnos most nincs időm. Koncertre megyek. Felhìvlak holnap. Rendben van?« Pause. Dann: »Igen. Köszönöm. Viszlàt.« Sie legte auf. Valerie schüttelte den Kopf, äußerte aber nichts. Lina. So war sie eben.
     
    *
     
    Valerie und Lina belegten ihre Teller mit gefüllten Weintraubenblättern, Käsestückchen, Oliven und Fleischbällchen. Es waren an die 20 Leute da, die sich in einer eher engen Wohnung drängten. In der Küche fanden sich die Raucher zusammen, im Schlafzimmer führten drei Gäste eine engagierte Diskussion und der Rest stand, saß oder zirkulierte im Wohnzimmer. Valerie sah Valentin, der bei FahrGut ein Rad gekauft hatte, auf sich zukommen. Ihr schwante nichts Gutes. Aber so war es halt. Überall, wo sie hinkam, traf sie auf Kunden. Tatsächlich begann Valentin sofort, von einem Problem zu erzählen, das er mit seinem Fahrrad hatte. Wenn sie etwas hasste, dann das. Sie wollte nicht am Samstagabend bei einem Fest als Velomechanikerin angesprochen werden. Und Gratisratschläge geben schon gar nicht. Ihr Hinweis, er solle das Rad am Dienstag bringen, nützte gar nichts. In diesem Punkt waren Lorenz und sie sich immer einig gewesen. Er hatte es genauso wenig ausstehen können, wenn bei irgendwelchen Anlässen die Leute ihre Gesundheitsprobleme an ihn herantrugen. ›Sie sollten unbedingt zum Arzt gehen‹, hatte er jeweils geantwortet und ein sehr besorgtes Gesicht gemacht. In schwereren Fällen hatte er höflich gesagt: ›Machen Sie sich bitte oben frei.‹ Das hatte immer gewirkt.
    Na ja, immerhin wurde sie hier als Expertin angesprochen. Sie vergaß nie jene Party, auf der sie mit Lorenz gewesen war, als sie erst kurze Zeit ein Paar waren. Von einer Kollegin von Lorenz gefragt, was sie beruflich mache, hatte sie geantwortet, sie habe ein Fahrradgeschäft. Damit wusste die junge Ärztin nichts anzufangen und sie hatte freundlich weitergefragt: ›Und hast du auch ein Hobby?‹ Lorenz hatte später darüber gelacht, aber Valerie hatte es geärgert. Und wegen Valentin, der offenbar das Gefühl hatte, dass man sich mit ihr am besten über Fahrräder unterhielt, wurde sie ebenso sauer.
    Sie schaute sich nach Lina um. Ihre Freundin wurde von Anne belagert. Valerie wusste, dass sie ihre Gesprächspartnerin nicht mochte, weil sie so neugierig war. Valerie hängte Valentin ab und ging zu den beiden Frauen hinüber. Sie sah gleich, dass da etwas Ungutes im Gange war. Anne belegte seit Neuestem einen Malkurs an der Volkshochschule und wollte mit Lina fachsimpeln. Lina war höflich, aber innerlich kochte sie, das sah Valerie. Sie beschloss einzugreifen.
    »Komm«, sagte sie, »das bringt

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