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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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ganze Menge mehr zu tun gab, aber im Moment war nur der Gedanke an die Polizei präsent. Hugo war tot. Erschlagen worden im FahrGut. Sie hatte bis jetzt nicht oft einen toten Menschen gesehen. Es war ihr unheimlich. Zu einem Menschen, einem menschlichen Körper gehörte es doch, dass er am Leben war. Hugo Tschudi lebte nicht mehr. Sie rief Zita Elmer in der Regionalwache an.
    »Sie müssen vorbeikommen, bei uns liegt ein Toter im Laden.« Ihre Stimme tönte ganz fremd in ihren Ohren. Der Satz schien keinen Sinn zu haben.
    Zita Elmer hatte sich eben mit einem Bericht über einen eigenartigen kleinen Vorfall befasst. Ein Kunde hatte ein Coiffeurgeschäft gestürmt und war auf den Coiffeur losgegangen, weil er ihm den Haarschnitt ruiniert hatte. Der Coiffeur hatte verletzt fliehen können. Sie reagierte rasch, stellte keine Fragen, sagte nur: »Ich bin gleich da.«
    Gleich danach, kurz vor 9 Uhr, erschien Luís. Valeries Verstand schaltete sich wieder ein. Sie berichtete ihrem Anlehrling kurz, was geschehen war, und wollte ihn heimschicken, aber er, mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination, wollte bleiben.
    »Na gut, bleib, die Polizei wird dich möglicherweise befragen wollen«, willigte Valerie ein. Sie hängte an die Eingangstür das ›Geschlossen‹-Schild und wünschte, sie hätte Rollläden herunterlassen können, aber es gab keine. Zita Elmer kam, schaute sich den Tatort an, den Hammer, den Leichnam. Das war kein Unfall. Sie orderte Verstärkung. Luís wollte den Toten anschauen, wurde aber zurückgehalten.
    »Wegen der Spurensicherung«, erklärte ihm Elmer. Spurensicherung. Ein langes, schwieriges Wort. Wie Gangschaltung. Aber Luís verstand es.
    Sie warteten auf die angeforderte Verstärkung. Es kam Valerie sehr lang vor. Sie war in ihrem Laden, in ihrem Reich, aber gleichzeitig in einer Situation, in die sie nicht hineingehörte, sie nicht, ihr Team nicht, ihr Ladenlokal nicht. Da war etwas Unfassbares in ihre Welt eingebrochen, etwas, was nicht sein durfte, auf das sie nicht reagieren konnte. So wartete sie einfach. Markus stand da, vierschrötig und stumm wie meistens. Luís warf ihr scheue Blicke zu. Sie standen und saßen im hinteren Teil des Lokals, damit sie von draußen nicht gesehen werden konnten. Ich verstecke mich in meinen eigenen vier Wänden, ging es Valerie durch den Kopf. Nach unten ins Büro konnten sie nicht, weil der tote Hugo im Weg lag. Der Gedanke vom gestrigen Abend streifte sie: Stück für Stück wird mir mein Laden weggenommen. Aber ich werde es nicht zulassen.
    Polizistin Elmer schwieg. Ein Tötungsdelikt. In diesem Fall würde sie nicht die Ermittlerin sein. Aber ihre Sinne waren geschärft. Sie registrierte jedes Detail der Situation. Das Opfer am Fuß der Treppe. Blutspuren auf einzelnen Stufen. Wahrscheinlich war der Mann bei seinem Sturz mit dem Kopf aufgeschlagen, bevor er unten landete. Der blutverschmierte Hammer oben an der Treppe. Vermutlich die Waffe. Sie registrierte das Schweigen. Der Mechaniker lehnte an der Hintertür, die Arme vor der braunen Strickjacke verschränkt. Was er dachte, war nicht auszumachen. Der Anlehrling stand neben ihr. Er spähte nach unten. Sein dünner Körper war gespannt wie eine Feder. Alles an ihm steckte mitten in einem unbegreiflichen, überraschenden, fesselnden Geschehen. Wahrscheinlich hätte er gerne geredet. Fragen gestellt. Mutmaßungen geäußert. Aber er traute sich nicht. Valerie Gut. Sie stand da, als wäre sie erstarrt. Das Schweigen ging von ihr aus. Zita Elmer war immer ein wenig beeindruckt gewesen von ihr. Valerie Gut, zehn, zwölf Jahre älter als sie, Geschäftsfrau in einer Männerdomäne, hatte eine kleine Bude zum stadtbekannten Geschäft gemacht. Sie war ehrgeizig, genauso wie sie selbst. Und jetzt? Wie würde es mit dem Laden weitergehen? Valerie tat ihr leid. Aber da war noch etwas anderes. Für sie, die Polizistin Elmer, war es eine Herausforderung. Ein Tötungsdelikt in ihrer nächsten Umgebung. Sie würde dabei sein, wenn die Spurensicherung am Werk war. Beobachten. Lernen. Das war ein anderes Kaliber als die Bagatellen, mit denen sie sich sonst herumschlug: Schlägereien, Diebstähle, kleine Einbrüche. Sollte sie sich schämen für diese Gedanken? Valerie würden sie vermutlich nicht gefallen. Aber die Ärzte im Spital seinerzeit hatten sich ebenso für die schwierigen Fälle am meisten interessiert, das war normal. Wenn sie nicht den Wunsch gehabt hätte, beruflich weiterzukommen, hätte sie auch

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