Schrottreif
und sogar fix und fertige Kindervelos. Es war eine uralte Bude, schien aus einer ganz anderen Zeit zu stammen. Schon Valeries Vater hatte bei Noser und Luchsinger Waren bezogen, und manchmal hatte sie ihn als Kind bei seinem Einkauf begleitet. Die Holztreppe knarrte, wenn man hinaufstieg, es war düster, roch nach Holz, Gummi und alten Sachen, und es schien ein gigantisches Durcheinander zu herrschen. Es schien aber nur so. Für Luchsingers Blick war das Ganze durch geheime Ordnungsprinzipien strukturiert. Er fand innerhalb von Sekunden alles, was er brauchte. Auch Valerie kam mittlerweile ganz gut zurecht, nicht weil sie das komplexe Ordnungsmuster erkannt hatte, sondern einfach, weil sie mehr oder weniger auswendig lernte, wo sich die Dinge befanden, die sie öfter brauchte. Anfangs hatte Luchsinger versucht, sie auszutricksen, aber als er merkte, dass sie nicht mehr das kleine Mädchen war, das mit seinem Papa glänzende Metallteilchen kaufen kam, sondern erwachsen und sich nicht übers Ohr hauen ließ, begann er, sie ernst zu nehmen. Sie kamen mittlerweile ganz gut miteinander aus. Er duzte sie, was sie sich zähneknirschend gefallen ließ. Ohne ihn zurückzuduzen.
Heute musterte der alte Luchsinger sie besorgt. »Na, was passieren da für Dinge bei dir?«
Valerie reagierte sofort gereizt. »Das hat nichts mit mir zu tun«, gab sie zurück. »Ein Einbrecher hat seinen Komplizen erschlagen.«
Luchsinger lief in seinem Lager umher und suchte zusammen, was Valerie notiert hatte. »Klar doch«, sagte er. »Aber ich will es dir trotzdem sagen: Schiesser zieht über dich her. Setzt Gerüchte in die Welt über dich und den Laden. Triumphiert, dein Geschäft würde es nicht mehr lange geben.«
Valerie zuckte die Schultern. »Hat er schon immer getan. Soll er halt. Ich kann ihm nicht den Mund verbieten.«
»Bist du sicher, dass er nichts damit zu tun hat?«
»Was denn?«, fragte Valerie. »Er wird kaum jemanden in meinem Laden erschlagen, nur um mir etwas zuleide zu tun. Wäre doch ein arg großer Aufwand. Und wenn er in meinen Laden käme, um Ware mitlaufen zu lassen, würde mir das auffallen.«
»Er hat in seinem Schaufenster eines dieser ganz modernen Schlösser, die erst seit Kurzem auf dem Markt sind, wie du welche bei mir gekauft hast. Von mir hat er es jedenfalls nicht bezogen. Und du hast doch erwähnt, dass dir so eines weggekommen ist.«
Valerie ging nicht darauf ein, sie hatte jetzt keine Lust, mit Luchsinger Vermutungen anzustellen. Schnell packte sie ihre Ware ein. »Meinen Laden, den wirds noch lange geben. Mindestens so lange wie Schiessers Schmuddelbude«, erklärte sie, als sie ging. Das mit dem Schloss in Schiessers Schaufenster muss ich Beat erzählen. Falls er mal die Gnade hat, sich zu melden und mich zu informieren, dachte sie trotzig, rief sich aber gleich zur Ordnung. Natürlich musste sie ihm alle Dinge mitteilen, die möglicherweise weiterhelfen konnten. Alle? Na ja, fast alle.
Sie war gerade daran, ein Rad zu zentrieren, als sich die Ladentür weit öffnete. Herein kam ein Mann, etwa 40 Jahre alt, dunkler Typ, in einem kamelhaarfarbenen Mantel. Valerie wusste sofort, dass das Stück teuer gewesen war. Solche Leute hatte sie schon auf der Bahnhofstrasse flanieren sehen, man sah ihnen an, dass sie reich waren, nicht nur an den Kleidern, sondern auch am Gang, am Gesichtsausdruck. Nach Wiedikon verirrten sie sich eher nicht. Was wollte dieser Typ hier? Den Tatort besichtigen? In diesem Fall konnte er gleich wieder abhauen. Er blieb stehen und atmete tief ein.
»Ach, es riecht hier so gut nach Fahrrädern!«, rief er. Sein Deutsch war ausgezeichnet, hatte aber eine deutliche spanische Färbung. Durch das Schaufenster sah Valerie ein Taxi warten, zweifellos mit laufendem Taxameter. Sie ging auf den Mann zu.
»Sie sind die Inhaberin«, sagte er mit Herzlichkeit. Er stellte sich vor. Tabaré Antonio Flores, Geschäftsmann aus Uruguay, eben in Zürich gelandet. Mit Swiss, natürlich. Im Flugzeug – sicher in der Business Class, vermutete Valerie – hatte er in der Swiss-Zeitschrift geblättert und war auf einen kleinen Artikel über FahrGut gestoßen. Kurz entschlossen hatte er am Flughafen ein Taxi genommen und sich herfahren lassen. Luís, der im Hintergrund an einem kaputten Rücklicht hantierte, machte große Augen. Der Geschäftsmann war aber nicht etwa gekommen, um Valerie zu bestaunen, obwohl er durchblicken ließ, dass er es charmant fände, ein Fahrradgeschäft in den kundigen
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