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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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offenbar traute sie sich jetzt wieder herein. Vorsichtig sah sie sich um.
    »Markus ist nicht da, er ist krank«, sagte Valerie mit einem kleinen Lachen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Aber er hat das vor ein paar Tagen sicher nicht böse gemeint. Wahrscheinlich war er gereizt, weil er sich bereits ein wenig krank gefühlt hat.« Sie wechselte das Thema: »Sag mal, hast du dich an Purim verkleidet? Bist du Königin Esther gewesen? Und hast du Geschenke bekommen?«
    Adele nickte. Aber sie erzählte nichts. Offensichtlich beschäftigte sie etwas anderes. »Bist du eine Judenfreundin?«, fragte sie schließlich. Das Geschmiere war also doch nicht unbemerkt geblieben. Ausgerechnet Adele hatte es sehen müssen.
    Ja, sie sei heute besonders früh ihre Freundin abholen gegangen, weil sie ihr bei einer Aufgabe helfen musste.
    Valerie versuchte, den Ausdruck zu erklären. »Es ist unfreundlich gemeint«, begann sie. »Es wurde wahrscheinlich von jemandem geschrieben, der mich nicht mag, weil die jüdischen Kinder zu mir zu Besuch kommen und ihre Eltern bei mir Fahrräder kaufen.«
    »Also von jemandem, der Juden nicht mag?«, forschte Adele.
    Valerie seufzte. »Ja«, gab sie zu. Wieso sollte sie es beschönigen? Die Kinder aus jüdisch-orthodoxen Familien, denen man ihre Herkunft aufgrund ihrer Kleider ansah, machten schon in Adeles Alter ihre Erfahrungen mit Antisemitismus.
    »Hat Markus es geschrieben?«
    »Markus?« Valerie war überrascht. »Ach, du meinst, weil er so unfreundlich zu dir war. Nein, nein, da hatte er bloß schlechte Laune. Zu einem christlichen oder muslimischen Kind wäre er sicher genauso böse gewesen. Ich werde ihm aber sagen, dass er sich nicht mehr so gehen lassen darf.«
    Adele sagte eine Weile nichts. Dann kam: »Markus mag uns Juden nicht. Du hast gesagt, dass die Neonazis Juden nicht mögen.«
    »Neonazi? Kind, wie kommst du denn darauf?«
    »Ich habe Markus gesehen«, sagte Adele.
    Valerie wurde langsam hellhörig. »Wo denn?«
    Die Kleine öffnete ihre Schulmappe und kramte ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt älteren Datums heraus. »Das ist doch Markus«, flüsterte sie und schob es Valerie hin.
    Valerie faltete es auseinander und überflog es. Der Ausschnitt war sechs Jahre alt, ein Bericht über ein Treffen von Schweizer Neonazis. Mit Foto. Und auf dem Bild sah man, neben drei anderen jungen Männern, sechs Jahre jünger, aber unverkennbar: Markus.
    »Scheiße!«, entfuhr es Valerie.
    Adele blieb still.
    »Woher hast du dieses Zeitungsblatt?« Als ob es darauf angekommen wäre.
    Sie hätten im Keller der Schule Theaterrequisiten ausgepackt, die längere Zeit nicht benutzt worden wären, erzählte das Kind.
    »Schau, ich habe nicht gewusst, dass Markus bei einer solchen Gruppe war oder ist«, versicherte Valerie. »Sonst hätte er nicht bei mir arbeiten dürfen. Ich werde mit ihm reden.« Das Mädchen überließ ihr den Zeitungsartikel.
    »Ist Frau Zweifel immer noch krank?«
    »Wohl schon. Ich habe sie bisher nicht gesehen«, erwiderte Valerie.
    Adele hatte es plötzlich eilig.
    Darauf also hatte sich die rätselhafte Bemerkung damals bezogen, sie kenne einen Neonazi. Und ihr Blick, als Valerie ihr versichert hatte, sie kenne keine Rechtsextremen. Markus. Markus Stüssi. Ihr Mechaniker.
    Da nicht viel los war, hatte Valerie eigentlich vorgehabt, Luís den Verkaufsraum zu überlassen und im Büro die Website zu aktualisieren Sie blieb dennoch in der oberen Etage, nahm sich ein Velo, dessen Vorderrad verbogen war, und begann, es zu reparieren. Sie musste die Hände beschäftigen und den Kopf frei haben. Das Durcheinander ordnen. Der Farbanschlag. Die Informationen über Markus. Ihr Mechaniker war immer sehr schweigsam gewesen. Über seine Weltanschauung oder politischen Ansichten hatte er sich nie geäußert. Sie hatte insgeheim bezweifelt, dass er überhaupt welche hatte. Sie hatte ihn, gestand sie sich ein, einfach für unbedarft gehalten. Ein guter Mechaniker, ein brauchbarer Mitarbeiter, der pünktlich kam, anständig flickte, fachkundig Kunden beriet, fertig. Was er in seiner Freizeit anstellte, darüber hatte sich Valerie nie Gedanken gemacht. Als er Sibel erwähnte, war sie leicht überrascht gewesen, aber eigentlich hatte sie sich gar nie überlegt, ob er eine Freundin hatte oder nicht. Hm. Eine türkische Freundin. Das war wohl bei den Rechtsextremen nicht besonders angesagt. Hatte er ihren Namen deshalb wie ›Sibylle‹ ausgesprochen? Ausländerfeindliche oder

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