Schrottreif
diese Firma. Er war sehr nett, er sagte: ›Ja, Sibel, du hast es nicht gut, nicht recht, dass du so wenig verdienen. Aber wehren nützt nichts, Chefin immer stärker.‹«
Hugo war für sie ein guter Freund geworden, sie hatte ihm sogar erzählt, dass sie eine Affäre mit einem Mann hatte, von der ihr Freund, mit dem sie damals zusammenlebte, natürlich nichts wusste. Offenbar hatte Hugo Tschudi Sibel Verständnis vorgeheuchelt, ihre Unzufriedenheit geschürt und sie mit raffinierten Andeutungen angestiftet, sich aus der Portokasse der Firma zu bedienen. Es ging nicht um große Beträge, 200, 300 Franken. Sibel hatte gezögert, aber schließlich hatte sie es getan. Sie hatte ein Kleid gesehen, das ihr so gefallen hatte, und sie wollte ihren Freund zum Essen einladen.
»Kaum ich habe gestohlen«, erzählte Sibel Valerie weiter, »Hugo ganz anders. Droht mir. Ich muss ihm das Geld geben und ich muss wieder Geld klauen und ihm geben. Und er sagt, ich muss mit ihm schlafen, ich gehe mit meinem Freund ins Bett und mit diese andere Mann, also warum nicht mit ihm? Sonst er sagt meine Chefin, dass ich stehle, und meine Freund, dass ich einen anderen habe. Ich war so verzweifelt.«
Valerie hörte stumm zu. Scheiße, dachte sie, armes Kind.
»Ich schlafe nicht ganze Nacht«, sprach Sibel weiter, »dann ich weiß, ich lasse nicht erpressen. Hugo wird nie aufhören.«
Sie war am nächsten Tag zur Polizei gegangen und hatte sich selbst angezeigt. Hugo stritt den Erpressungsversuch ab, es stand Aussage gegen Aussage. Man glaubte Sibel, die widerspruchsfrei bei ihrer Geschichte blieb, und Tschudi wurde zu einer geringen Strafe verurteilt. Natürlich verlor die junge Frau ihren Job, ihr Freund wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben und sie bekam eine kleine Vorstrafe. Aber sie nahm das lieber auf sich, als sich einem Erpresser auszuliefern. Valerie war beeindruckt.
Markus hatte sie diese Geschichte nicht erzählt. Sie hatte geglaubt, er würde nichts mit ihr zu tun haben wollen, mit einer, die gestohlen und ihren Freund betrogen hat. Er hatte zwar Hugos Namen ab und zu erwähnt, aber Sibel hatte nicht damit gerechnet, dass damit jener Hugo gemeint sein könnte. Umso mehr war sie erschrocken, als sie ihn vom Café gegenüber des FahrGut aus gesehen hatte, an dem Tag, als sie sich bei Valerie vorgestellt hatte.
»Hast du Markus an jenem Mittag von Hugo erzählt?«, fragte Valerie, die sich daran erinnerte, wie Sibel heftig auf ihren Mechaniker eingeredet hatte.
»Nur ein bisschen«, sagte Sibel. »Markus weiß nicht genau. Ich habe gesagt, er sei zu Kollegin von mir schlecht gewesen.«
»Hast du das alles heute Morgen dem Polizisten erzählt?«
»Ja, er kommt und sagt, er weiß, Hugo wollte mich erpressen. Also ich habe gesagt, wie es war. Jetzt ich habe Angst, er denkt, ich habe Hugo getötet. Wegen Rache oder so.«
»Aber du warst an jenem Abend mit Markus zu Hause«, beruhigte Valerie sie. »Streiff hat dich nicht verhaftet. Ich vermute, er wird nachforschen, ob Tschudi weitere Leute erpresst hat. Leute, bei denen es ihm gelungen ist und die sich mit einer Gewalttat davon befreien wollten.«
»Aber warum in FahrGut?«, wandte Sibel ein.
Ja, warum ausgerechnet im FahrGut, wiederholte Valerie in Gedanken. Es ist nicht logisch. Es geht nicht auf. Da steckt mehr dahinter.
3. Teil
Valerie lag in der Badewanne, in einem nach Milch und Honig duftenden Schaumbad, und hörte ihre Lieblingsmusik, aber leiser als das letzte Mal in der Werkstatt. Die heftigen Dissonanzen beruhigten sie, sie konnte so die Anspannung in ihrem Innern an die Musik delegieren und blieb leer und gleichgültig zurück. Seppli bewachte das Badezimmer. Hugo Tschudi, dachte sie, so ein Schwein. Gibt überall den puristischen Weltverbesserer im Wollpulli und Birkenstock ab. Macht einen Aufstand, wenn jemand ein Hightech-Velo fährt statt eines selbst zusammengebastelten Brockenhausmodells. Und hinter diesem nervigen, aber harmlosen Idioten, mit dem man fast Erbarmen hat, weil niemand ihn mag, steckt ein Intrigant der übelsten Sorte, einer, der Leute manipuliert, der sich gezielt die aussucht, denen es nicht so gut geht, die unsicher sind. Sie selbst hatte ja auch Angst bekommen. Dumm war Sibel keinesfalls, das war Valerie klar. Im Gegenteil, die Frau war sehr intelligent. Vielleicht nagte ein kleiner Groll an ihr, weil sie keine gute Schule besuchen, keinen Beruf hatte lernen können, weil sie stattdessen für Leute putzte oder irgendwelchen Kunden
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