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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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antisemitische Bemerkungen hatte sie von ihm nie gehört. Zu Luís, der Portugiese war, war er anständig, gab ihm Tipps, erklärte ihm technische Details. Kinder mochte er generell nicht. Vermutlich hatte er sich um die jüdische Kundschaft etwas weniger bemüht, weil er lieber Leute beriet, die sportliche Rennvelos oder Mountys wollten. Citybikes oder Kindervelos langweilten ihn. Und Valerie hatte sich um diese Kunden gerne selbst gekümmert, weil sie die Familien, oder zumindest das eine oder andere vorwitzige oder schüchterne Kind, persönlich kannte.
    Konnte es sein, dass sie seit zwei Jahren einen rechtsextremen Mechaniker als Mitarbeiter hatte, ohne eine Ahnung davon zu haben? Vielleicht war er nur eine kurze Zeit dabei gewesen, ein paar Treffen, keine Gewalttaten. Aber weiterbeschäftigen konnte sie ihn dennoch nicht. Sie musste mit ihm reden. Valerie war zum zweiten Mal an diesem Tag zutiefst getroffen. Die Kette der Ereignisse, die den Boden unter ihren Füßen wanken ließ, schien kein Ende zu nehmen. Immer gabs eins drauf. Und sie bekam nicht auf die Reihe, wie alles zusammenhing. Hing denn alles zusammen? Oder brach jetzt einfach alles auf, selbst Dinge, die nichts miteinander zu tun hatten? War das zufällig oder wurde das eine Ereignis von einem anderen ausgelöst, wie beim Dominospiel, wo alles ins Rutschen kam, wenn man den ersten Stein antippte?
    Valerie fasste sich ein Herz und ging ans Telefon. »Gehst du mit mir essen heute Abend?«
     

3. Teil
    Sie ging mit Streiff ins Weisse Schloss am Hardplatz. Eine ehemalige Bierkneipe, die sich durch die junge Wirtin und ausgezeichnete Köchin zu einem ansehnlichen Restaurant gemausert hatte. Das Lokal war L-förmig. Auf der einen Seite schütteten sich wie eh und je die Alkis mit Bier zu und erzählten einander, unsicher artikuliert, langfädige Geschichten. Auf der anderen Seite jedoch waren die Tische weiß gedeckt, Tischtücher, Stoffservietten, Teelichter auf den Tischen, expressionistische Bilder an den Wänden. Das war Monika Blumers Reich. Sie war in Österreich aufgewachsen und hielt nichts von Nouvelle Cuisine oder asiatischen Reisgerichten. Sie kochte Sauerbraten, Gulasch, Wiener Schnitzel. Und zwar delikat. Heute servierte sie Beat und Valerie dicke Rinderfilets mit knusprigen hausgemachten Pommes frites und Mönchsbartsalat. Seppli hockte unter dem Tisch und schnupperte. Aber er machte sich keine Hoffnungen. Am Nebentisch saß ein Schauspieler aus dem Ensemble des Schauspielhauses, den Streiff von Aufführungen her kannte; er ging gern ins Theater. Seine Nichte schrieb Theaterkritiken, bekam für jede Vorstellung zwei Freikarten und manchmal nahm sie ihn mit. Jenseits der Hardbrücke war der ›Schiffbau‹, eine Dépendance des Schauspielhauses, und im Weissen Schloss ließen sich immer wieder Theaterleute blicken.
    Valerie hörte gar nicht mehr auf zu reden. Die anfängliche Distanz, die Fremdheit, die Vorsicht Beat gegenüber waren verschwunden. Es war, wie es vor einigen Jahren eine kurze Zeit gewesen war. Über die Sache mit Sibel und das, was sie heute über ihren Mechaniker gehört hatte, konnte sie aus Diskretionsgründen mit niemandem außer Streiff reden. Und es musste jetzt einfach raus. Sie musste das Chaos in ihrem Kopf lichten.
    »Meinst du, Markus hat mein Schaufenster verschmiert?«, fragte sie Beat ratlos. »Ich war im ersten Moment so sicher, dass es Schiesser war. Ich hätte bei ihm einmarschieren und ihm den Hals umdrehen können.«
    Streiff musste lächeln. Er kannte ihr Temperament. Wenn auch in einem anderen Zusammenhang. »Wir werden selbstverständlich deinen Mechaniker in dieser Sache noch vernehmen. Mir ist allerdings nicht klar, was er davon haben sollte, selbst wenn er rechtsextrem ist. Warum sollte er seinen Job gefährden, gerade jetzt? Heute haben wir Schiesser tüchtig in die Mangel genommen. Er hat alles abgestritten. Aber wir werden ihn nochmals vorladen. Es könnte sein, dass er den Farbanschlag aus Neid auf dein Geschäft, deinen Erfolg verübt hat. Er hofft jedenfalls, dass der Mord deinem Laden schadet. Vielleicht dachte er, er könne auf dieses Züglein aufspringen, von dieser Geschichte profitieren.«
    Paul Schiesser. Ihr Vater und er waren immer auf Distanz gewesen, hatten nicht am gleichen Stammtisch verkehrt. Das Wort Konkurrenz hatte für die beiden Kleingewerbler alter Schule keinen positiven Beigeschmack gehabt. Aber ihr hatte Schiesser manchmal ein Sugus, ein süßes Kaubonbon, zugesteckt oder

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