Schrottreif
Laden und eilte wieder einmal zum Polizeiposten hinüber. Zum Glück war sie heute früh dran. Diese Schmiererei musste bis 9 Uhr weg sein, wenn sie den Laden öffnete. Zita Elmer nahm die Anzeige wegen Sachbeschädigung entgegen, begleitete Valerie zu ihrem Geschäft und fotografierte die Bescherung.
»Da hat es wohl jemand auf Sie abgesehen«, meinte sie, »zumindest auf Ihren Laden.«
Valerie schäumte: »Ja, das glaube ich auch! Und ich glaube noch etwas: dass es Schiesser war. Ich wäre in der Stimmung, hinzugehen, und ihm die Fresse zu polieren!«
Polizistin Elmer schüttelte den Kopf. »Tun Sies nicht. Wir werden untersuchen, ob ers war. Und abwaschen können Sie das leider momentan nicht. Wir müssen erst prüfen, ob wir Fingerabdrücke oder sonstige Hinweise auf der Scheibe finden.«
Valerie explodierte: »So öffne ich den Laden nicht!« Sie schob sich einen Kaugummi in den Mund. Es war 7.30 Uhr. Elmer gelang es, mit einem Umweg über Streiff, auf die Schnelle jemanden vom Technischen Dienst kommen zu lassen, der die notwendigen Untersuchungen vornahm. Valerie hatte Gianni Benelli, ihren langjährigen Fensterputzer erreicht, der bereit war, eine kurze Sonderschicht einzulegen, bevor er zu seinem ersten Kunden fuhr. Um 8.45 Uhr war die Scheibe sauber, alles bestens. Valerie jedoch saß in ihrem Büro und kämpfte mit den Tränen. Das hatte ihr ganz persönlich gegolten. Sie fühlte sich persönlich angegriffen. Als ob jemand sie mit Dreck beworfen hätte. Als sie Luís kommen hörte, riss sie sich zusammen. Markus war immer noch krank. Sie berichtete ihrem Lehrling kurz, was passiert war, zeigte ihm die Fotos, erläuterte das Wort ›Weiberwirdschaft‹ inklusive Rechtschreibfehler und nahm ihm das Versprechen ab, die Sache für sich zu behalten. »Keine Auftritte bei Züri TV«, schärfte sie ihm ein.
Zusammen räumten sie den Veloständer und die Räder hinaus und öffneten das Geschäft. Als ob nichts gewesen wäre. Es sprach sie niemand auf die Schmierereien an. Offenbar war keiner ihrer Kunden frühmorgens am FahrGut vorbeigekommen. Valerie war froh, dass es im Moment nicht allzu früh hell wurde. Sie wollte nicht, dass im Quartier über diesen Vorfall getratscht wurde, dass man sich womöglich lustig machte über sie.
Streiff kam gegen 10 Uhr. Er war nicht begeistert, dass Valerie die verunstalteten Fenster bereits hatte reinigen lassen. Er hätte es sich gerne selbst angesehen, eventuell wäre ihm dabei etwas aufgefallen. Valerie gab sich reserviert.
»Hättest früher aufstehen sollen«, sagte sie knapp.
»Falls du denkst, ich läge bis um 9 Uhr im Bett, täuschst du dich«, gab er zurück, für einen Moment eingeschnappt. Dann kam er wieder zur Sache: »Die Bedeutung des ersten Satzes scheint klar zu sein. Es will jemand deiner Kundschaft nahelegen, dass in deinem Geschäft üble Dinge passieren, weil es von einer Frau geführt wird. Aber was soll der zweite Satz? Hast du viel jüdische Kundschaft?«
»Klar«, nickte Valerie. »Im Kreis drei lebt ja der Großteil der Zürcher orthodoxen Juden. Und die kaufen bei mir. Ich inseriere seit Jahren im Tachles, schon als es noch das Israelitische Wochenblatt war, und ich habe vergangenen Winter einen Veloflickkurs extra für jüdische Buben durchgeführt, nachdem zwei Mütter bei mir angefragt hatten. Und mit den Kindern der Familie Rosenblatt habe ich den sogenannten Gurkendeal, das heißt, ich gebe ihnen die Sachen ein bisschen billiger und einmal im Jahr, wenn die Großmutter Gurken eingelegt hat, bringen sie mir ein paar Gläser davon. Eine Delikatesse, sage ich dir.«
»Das könnte schon den Neid der Konkurrenz erwecken«, meinte Streiff, »nur so als These formuliert. Nicht die Gurken natürlich, sondern die Kundenbindung.«
Er machte sich auf den Weg zur Regionalwache.
Zita Elmer hatte Schiesser bereits vorgeladen. Diesmal gab es keine gemütliche Unterhaltung in dessen eigener Umgebung. Jetzt fand eine formelle Befragung auf einem Polizeiposten, in einem ihm fremden Büro und auf einem unbequemen hölzernen Stuhl statt, einem Polizisten in Zivil und einer uniformierten Beamtin gegenübersitzend, die es hinter ihrem Schreibtisch bequemer hatten als er davor.
2. Teil
Valerie freute sich, als Adele hereinkam. Die Szene von vor zwei Tagen war ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Es hatte ihr leidgetan, dass Markus die Kleine so angefahren hatte, die doch ohnehin so bedrückt schien. Damals war sie blitzschnell verschwunden, aber
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