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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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das Junior-Heftli, das ihr Vater leider nicht im Laden hatte, geschenkt. Er war damals jung gewesen, nicht mal 30 Jahre alt. Aber der achtjährigen Valerie war er natürlich uralt vorgekommen. Und jetzt hasste Schiesser sie so sehr, dass er sie denunzierte, ihr übel nachredete.
    »Aber mit dem Mord hat er nichts zu tun?«, wollte sie von Beat wissen. »Und mit den Diebstählen?«
    »Wahrscheinlich nicht. Wir sind dabei, das zu überprüfen.«
    »Und Markus, wo hängt er mit drin?«
    »Wahrscheinlich nicht in diesem Fall. Diese Rechtsextremismusgeschichte ist eine andere Schiene. Ich werde abklären, ob er aktenkundig ist. Red mit ihm, wenn er wieder zur Arbeit kommt. Und allenfalls entlässt du ihn halt und suchst dir jemand Neues.«
    Es tat Valerie gut, das ganze Knäuel zu entwirren, die verschiedenen Fäden nebeneinanderzulegen, zu trennen, was nicht zusammengehörte. Was aber noch fehlt, dachte sie, ist, zu merken, was zusammengehört und es zu kombinieren. Das ist Beats Sache. Aber irgendwie auch meine.
    »Machst du deine Arbeit eigentlich gerne?«, erkundigte sie sich.
    »Ja, sehr. Du fragst wohl, weil ich immer mit Unerfreulichem zu tun habe? Das Unangenehme gibt es eben. Ich arbeite für die Seite der Gesellschaft, die sagt: ›Stopp. So nicht.‹ Und das tue ich gern. Zudem mag ich es, meine grauen Zellen anzustrengen. Wollen doch sehen, sage ich mir jeweils, ob ich wirklich dümmer bin als einer, der sich ein Verbrechen ausgedacht hat.«
    »Und?«, setzte Valerie nach. »Bist du gescheiter als die?«
    »Meistens!«
    »Und ich? Bin ich denn dümmer als der unbekannte Ladendieb? Bin ich dümmer als dieser verdammte Mörder? Muss ich mir das einfach bieten lassen?«
    »Du bist auf etwas anderes spezialisiert«, stellte Streiff klar. »Es ist gut, wenn du mir alles erzählst, woran du dich erinnerst und was dir auffällt.«
    Valerie kam wieder Frau Zweifel in den Sinn. Die Handykamera. Sie wusste im Moment selbst nicht recht, warum sie immer noch nichts davon sagte. Es ist meine Spur, dachte sie. Ich werde ihm davon erzählen. Aber zuerst frage ich Frau Zweifel selbst.
    »Was denkst du über Hugo Tschudi?«, wechselte sie das Thema. »Was war das bloß für ein Mensch? Wieso hatte er es auf mich abgesehen? Glaubst du, das wäre noch weitergegangen, wenn er nicht getötet worden wäre?«
    »Schwierig zu sagen«, meinte Beat. »Man kann ihn nicht mehr psychiatrisch untersuchen lassen. Er hat nie jemanden tätlich angegriffen. Vielleicht hat er es auch mit Erpressungen nicht mehr versucht, weil es ihm bei Sibel Evren nicht geglückt ist. Bei dir ist er anonym geblieben.«
    »Er hätte mich auch nicht erpressen können«, stellte Valerie klar.
    Sie fasste sich ein Herz und brachte das Gespräch auf jenen unseligen Abend mit Leon, als sie sein Unverständnis so wütend gemacht und verletzt hatte.
    Zu ihrer Überraschung lachte Beat einfach über Leons Theorien. Er kannte sie nur zu gut. Nicht nur von Anikò. Auch andere seiner Bekannten, die nicht bei der Polizei waren, kamen ihm immer wieder damit.
    »Klar gibt es arme Teufel, die kriminell werden«, gab er zu. »Aber an diese ist im Strafrecht auch gedacht. Es gibt mildernde Umstände, es gibt die Möglichkeit, statt einer Gefängnisstrafe eine Maßnahme zu verhängen, und so weiter. Aber es braucht Regeln, die für alle gelten. Würde man anfangen, einzelne Täter von vornherein zu entschuldigen und Verbrechen nicht zu ahnden, würde die Gesellschaft irgendwann auseinanderfallen; dann gäbe es keinen Grund mehr, sich an die Regeln zu halten. Und es gibt eine Kehrseite bei der Theorie deines Freundes. Viele Menschen empfinden ein bestimmtes Verbrechen als ganz besonders schlimm, Kindesmissbrauch zum Beispiel. Sie müssen das Urteil genauso akzeptieren, das ein Gericht fällt, obwohl es ihnen zu mild erscheint. Sie können nicht einfach hingehen und ihre Vorstellung von Gerechtigkeit durchsetzen.«
    »Bis du der Meinung, dass Gerichtsurteile immer gerecht sind?«, fragte Valerie.
    »Nein«, gab Beat unumwunden zu. »Aber unsere Gesellschaft würde nicht gerechter, wenn jeder aus dem Bauch heraus entscheiden könnte, wer welche Strafe verdient und wen man laufen lassen sollte.«
    Streiff bestellte sich Kaffee und Grappa, Valerie ein weiteres Glas Wein.
    »Wie ist es dir denn ergangen in den letzten Jahren?«
    Valerie fühlte sich plötzlich befangen. Ja, wie war es ihr denn ergangen? Über die Trennung von Lorenz wollte sie nicht reden. Sie sagte ein paar dürre

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