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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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Sätze übers Geschäft, aber das wollte nicht recht passen. Sie brach ab und gab den Ball unbeholfen zurück. »Und du? Trainierst du bis heute fleißig Judo? Du rauchst nicht mehr, oder?«
    Er schwieg einen Moment. Sie hat sicher gemerkt, dass ich zugenommen habe, dachte er. Schließlich fragte er: »Magst du die Filme von Kaurismäki immer noch?«
    Sie waren ein einziges Mal zusammen im Kino gewesen. Man hatte sich ja nicht öffentlich miteinander gezeigt. Sie hatten sich zufällig, beide allein, in einem Film von Aki Kaurismäki getroffen. Streiff ging am liebsten allein ins Kino. In Filmen fand er es besonders schwierig, Gesichter voneinander zu unterscheiden. Einmal hatte er in einem Film den Ehemann und den Liebhaber einer Frau nicht auseinanderhalten können, in einem anderen Film hatte er kapitulieren müssen angesichts dreier grauhaariger Darsteller. Er hatte keine Lust, sich im anschließenden Gespräch mit seiner Begleitung zu blamieren und sein Geheimnis preisgeben zu müssen. Aber an jenem Tag hatte er sich natürlich gefreut, Valerie zu treffen, und sie hatten den Abend zusammen verbracht.
    Plötzlich strahlte Valerie, so wie er sie von früher kannte. »Klar! Hast du den letzten gesehen, er ist schon ein paar Jahre alt: ›The man without a past‹?«
    Er hatte. Dennoch erzählte ihm Valerie haarklein jede Szene, die sie berührt hatte. Er fiel ein, brachte andere Interpretationen ins Spiel; sie legte den Kopf schräg, wenn sie spannend fand, was er sagte, oder widersprach hitzig, wenn es ihr nicht einleuchtete. Die Verlegenheit war wie weggewischt.
    »Kannst du die Droste-Hülshoff-Ballade noch?«, forschte Streiff, mutiger geworden.
    Valerie schluckte, bevor sie lachte und zitierte: »Sacht pochet der Käfer im morschen Schrein, der Mond steht über den Fichten.« Sie hatte sich eine Zeit lang wegen Eisenmangels Infusionen verabreichen lassen müssen, was jeweils eine Stunde dauerte, und weil sie sich auf der Liege langweilte, hatte sie die lange Ballade ›Die Schwestern‹ auswendig gelernt, die sie bruchstückhaft von der Schule her konnte, und sie einmal vor Beat rezitiert.
    ›Wir könnten eine Abendgesellschaft geben und du könntest sie vor den Gästen aufsagen‹, hatte er fantasiert. Aber sie hatten natürlich beide genau gewusst, dass es keine gemeinsamen Abendgesellschaften mit Gästen geben würde.
    Streiff dachte, wenn dieser Fall gelöst ist, führe ich sie aus. Wenn sie will. Und dann reden wir von ganz anderen Dingen.
    Valerie sagte, in seine Gedanken hinein, mit einem kurzen Aufblitzen in ihren Augen, das er nicht recht deuten konnte: »Ich brauche wieder Infusionen. Vielleicht lerne ich Goethes Gedicht über den Fischer.«
     
    *
    Später saß Streiff zu Hause, am Küchentisch. Er hatte sich ein letztes Bier aufgemacht. Vor ihm stand sein Laptop. Er startete den Browser und gab eine Internetadresse ein. ›Ihr Weg zum Wunschgewicht. Ein ausgewogenes Programm nach Maß.‹ Er tippte seine Daten ein, Größe und Gewicht. 1,78 Meter, 84 Kilo. Sein Body-Mass-Index betrage 26,5, wurde ihm mitgeteilt. Es wäre sinnvoll, wenn er sein Gewicht dauerhaft reduzieren würde. Er starrte auf die fast volle Bierflasche, stand auf und leerte das Bier aus. Mit irgendetwas musste man ja anfangen. Er setzte sich wieder. Gerechtigkeit, dachte er. Ist das Recht gerecht? Und welches? Unseres? Die Scharia? Der Kanun der Albaner? Das römische Recht? Gerechtigkeit besteht womöglich nur darin, das Recht auf alle gleich anzuwenden, so abstrakt sich das anhört. Und obwohl die Menschen alles andere als gleich sind. Das Recht ist eine Hilfswissenschaft einer nicht existenten Gerechtigkeit. Er bereute ein wenig, das Bier ausgekippt zu haben. Hätte mehr gebracht, die Pommes frites wegzulassen, gestand er sich ein. Aber er holte sich keine neue Flasche, sondern ging zu Bett.
     

Samstag, 3. Woche
    1. Teil
    7.30 Uhr. Nieselregen. Neun Grad. Immerhin über null. Angela Legler wirkte ziemlich missgelaunt. Zita Elmer war es egal. Sie hatte seit 7 Uhr Dienst und keinen Grund, die Tatortbegehung zeitlich so anzusetzen, dass ihre Informantin zuerst ausschlafen und ausgiebig frühstücken konnte. Das hier war kein gemütlicher Wochenend-Flohmarktbummel, bei dem man, wer weiß, über ein Schnäppchen, zum Beispiel ein Superfahrrad für 300 Franken, stolperte. Wenn die Zeugin Legler hier über etwas stolperte, dann bitte über eine Händlerin, die Hehlerware feilbot. Sie zogen miteinander über den Markt, vorbei an

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