SchrottT (German Edition)
das natürlich nicht. Ein Nervengift hätte den Zweck viel sicherer erfüllt.«
»z…«, sagt Colin. Es soll »Stimmt« heißen, hört sich aber nicht so an.
Verena notiert sich etwas. »Ich glaube Ihnen keine Sekunde, dass Sie noch nicht selbst darauf gekommen sind, wer dahintersteckt.«
»Sie«, keucht Colin.
Verena sieht ihn scharf an. Vielleicht überlegt sie, ob sie eine Sofortmaßnahme anordnen soll, aber es kommt anders. »Und wer sind wir Ihrer Meinung nach?«
Colins Magen tut weh. Oder ein anderes Organ in der Nähe. Vermutlich verdurstet er gerade, und irgendwelche Innereien stellen schmerzerfüllt ihren Dienst ein. »Sagen … Sie es mir. Am besten, bevor ich … abkratze.«
»Mein lieber Herr Weinland«, sagt Verena, »wie Sie da unten liegen, wirken sie fast harmlos. Aber es wäre unprofessionell von mir und meinem Job nicht angemessen, wenn ich mich davon beeinflussen lassen würde. Haben Sie immer noch nicht begriffen, was der Begriff Geheimhaltung bedeutet?«
Colin verzichtet auf eine Antwort. Er verzieht das Gesicht und versucht, sich ein klein wenig anders hinzulegen. Daraufhin wacht sein linkes Bein kurz auf und kribbelt unerträglich.
»Geheimhaltung ist einseitig. Das bedeutet, dass Leute wie Sie, Herr Weinland, keine Geheimnisse vor Leuten wie uns haben. Um der allgemeinen Sicherheit willen. Aus demselben Grund bleibt uns leider nichts anderes übrig, als eine Menge Geheimnisse vor Ihnen zu haben. Wer wir sind, wo wir sind, wie spät es ist, wann wir Sie freilassen, wie es Ihren Freunden geht …«
»Und«, ergänzt Colin mit dem letzten Rest Kraft, die er hat, »auf welchem Flur die eingesperrt sind.«
Ein kurzes Auflachen. Verena hält sich drei Finger vor den Mund, gluckst aber weiter. Jetzt hätte Colin wirklich große Lust, ihr eine Menge unfreundliche Dinge zu sagen, aber er kann nicht. Er hat längst verstanden, dass es Verenas Masche ist, ihm die Würde zu nehmen. Wer keine Würde hat, so die Logik, befindet sich eine Stufe unter dem Menschsein. Ist nur noch ein Objekt, das schlussendlich von selbst begreift, dass nur Menschen das Recht haben zu schweigen. Dabei ist Verena die, die sich ihrer Würde entledigt. Ihrem Menschsein. Indem sie Colin wie ein Objekt behandelt, das Teil von Prozessen ist, die von höherer Stelle definiert wurden. Wie ein Teil in einer Maschine, das zu funktionieren hat. Maschinen haben keine Würde. Sie brauchen auch keine. Aber Menschen sind keine Maschinen. Leider bringen viele Leute das ständig durcheinander, was alle möglichen Arten von Problemen verursacht. Unter anderem Colins Problem.
Colin unterbricht seinen düsteren Gedankengang, als er ein Plätschern und ein gläsernes Klimpern hört. Er kann die Quelle der Geräusche nicht sehen, aber es klingt so, als würde jemand ein Getränk einschenken. Vermutlich will Verena vor seinen Augen ein Glas Wasser trinken, ohne ihm etwas abzugeben. Ja, diese Grausamkeit traut Colin ihr ohne Weiteres zu.
»Herr Weinland«, sagt Verena förmlich, »wir werden Sie jetzt in eine aufrecht sitzende Position verlagern. Sie erhalten ein Getränk, bevor die Befragung prozessgemäß fortgesetzt wird. Alle Maßnahmen dienen Ihrer eigenen Sicherheit und jener der Allgemeinheit.«
Unvorsichtige Hände schnallen Colin los und ziehen ihn ans Ende des gekachelten Raumes, wo ein Klappstuhl steht. Laufen könnte Colin nicht, selbst wenn er wollte. Zwei Aufpasser mit Kunststoffhandschuhen setzen ihn auf den Stuhl, dann reicht einer ihm einen Kugelschreiber.
»Bevor Sie das Getränk erhalten«, fährt Verena fort, »leisten Sie eine Unterschrift.« Colin sieht Sterne. Sein Schädel dröhnt. Er sieht, dass Verena ihren Text von einem Pad abliest. Dann sieht er die Tablette, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Neben einem Formblatt, das mit »Unbedenklichkeitserklärung« überschrieben ist.
»Was soll …«, krächzt Colin.
»Sie werden jetzt ein experimentelles Mittel einnehmen, das der Wahrheitsfindung dient«, liest Verena vor. Ihre Stimme schwankt kaum merklich oder bildet Colin sich das ein?
Die Befragungsreferentin fährt fort, ohne aufzublicken: »Sie unterschreiben, dass Sie das Risiko, das mit der Einnahme des experimentellen Mittels verbunden ist, freiwillig tragen. Sie willigen ferner ein, dass diese Erklärung in Ihren Datensatz in der nationalen Gesundheitsdatenbank aufgenommen wird, um bei einer eventuell nötigen ärztlichen Behandlung berücksichtigt zu werden.«
Das ist der erste vernünftige Satz, den
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