SchrottT (German Edition)
…« Er keucht, bevor er weiterreden kann. »… das mal eher erzählt … statt mich … langsam umzubringen … dann hätten wir …« Wieder keucht er, krümmt sich in seinen Fesseln. Er spürt seinen linken Fuß nicht mehr. »Dann hätten wir uns echt nett unterhalten können … über …« Colin spuckt Blut. Ein Engelchen beschwert sich, wischt es sich von den Flügeln. »Über Freiheit … und solche Dinge.«
»Reden Sie kein dummes Zeug«, sagt Verena. »Sie sterben nicht, Sie stehen unter der Wirkung einer experimentellen Sicherheitsdroge. Sie können mir nicht erzählen, dass Sie von all dem nichts gewusst haben! Wenn Sie schon nicht direkt beteiligt waren, dann geben Sie wenigstens zu, dass Sie von den Absichten Ihres Vaters wussten!«
Colin fragt sich, ob gerade eines der Engelchen auf seinem linken Unterschenkel gelandet ist und damit angefangen hat, ihn abzusägen, oder ob er von alleine abfällt. »Er … ist nicht …« Colins Sehfähigkeit lässt nach. Bunte Lichter kreisen zwischen den Engelchen, und sein Herz hüpft hin und her durch die Brust. »… ist nicht … mein Vater …«
Colins Kopf brennt. Sein linkes Bein nicht, denn es ist anscheinend abgefallen und geht jetzt seiner eigenen Wege.
Das tut auch Colins Gehirn. Es verzichtet dankend auf die Gegenwart und verzieht sich weit, weit in die Vergangenheit.
Heidelberg, sizilianischer Herbst
Colin hatte wirklich Probleme mit seiner Blase. Einer seiner Vorsätze für die Zukunft war, immer eine Toilette aufzusuchen, bevor er eine sizilianische Hochzeit besuchte, um sich nicht in unangenehme Zwangslagen zu bringen.
Wie jene unter dem Stapel Gartenstühle. Colin konnte es nicht einmal laufen lassen. Er war sicher, dass der schießfreudige Kerl, dessen glänzende Schuhe er wenige Meter entfernt umherschleichen sah, es hören würde.
Der Kerl flötete. Colin war sich nicht sicher, aber die Melodie kam ihm bekannt vor. Aus einem Film. Ja. Aus einem alten Film.
Colin versuchte, mit den Zehen zu wackeln, aber das brachte keine Erleichterung.
Seine Hände waren feucht. Er ballte sie lautlos zu Fäusten. Er stellte sich vor, er würde aufstehen und sagen: »Kann ich mal kurz aufs Klo?« Aber das hatte er sich schon in der Schule nicht getraut.
Klogänger wurden ausgelacht. Selbst wenn sie dank einer Blasenentzündung eine prima Entschuldigung hatten.
Colin hatte keine Blasenentzündung. Er hatte Schweiß in den Augen. Zwinkerte, so leise er konnte. Atmete flach. Wagte einen Blick durch die kleine Lücke …
Die Schuhe waren nicht mehr zu sehen. In einiger Entfernung Rufe. Dann gedämpftes Knallen teurer Autotüren. Abfahrende Daimler, die es nicht besonders eilig hatten.
Einmal holte Colin tief Luft. Dann öffnete er lautlos seine Hose, fummelte fahrig seinen Penis hervor und urinierte im Liegen ins Gras. Dann erst krabbelte er aus seinem Versteck.
Hier, im abgelegenen Bereich des Gartens, lagen keine Leichen. Es wirkte alles so friedlich. Kein Geräusch war zu hören. Die Angreifer hatten ganze Arbeit geleistet. Keine Verletzten zurückgelassen.
Plötzlich raschelte das Gebüsch neben Colin. Der sprang zur Seite, sein Herz machte einen Sprung.
Dann tauchte der Kopf des Drummers zwischen den Ästen auf.
»Du bist das!«, flüsterte Colin.
»Hrm«, machte Tier.
»Wo ist James?«
»Liegt hier.«
Colin wurde kalt. »Haben sie ihn erwischt?«
»Nee«, sagte Tier. »Seine Pillen. Wird schon wieder. Wo ist Wolf?«
Colin zuckte mit den Schultern.
Dann hörte er Tatütata. Stellte sich auf die Zehenspitzen. Ohne große Eile tuckerten vier Polizei-Fiats auf den Hof.
Ein paar Tage später hatte Colin ein Déjà-vu. Erneut bekam er aus heiterem Himmel einen Anruf von Wolf, der dem Hochzeitsmassaker nur dank seiner Sprinterqualitäten entkommen war. »Nee«, sagte der Bassist, »diesmal keine Hochzeit. Tausendmal besser. Bei einem Konzert an der Uni ist eine Band ausgefallen. Gab wohl einen Unfall. Ich hab sofort nachgefragt, und wir können den Slot füllen. Weißt du, wie geil das ist?«
»Soll ich meine Violine mitbringen?«, fragte Colin.
»Zur Sicherheit«, gab Wolf zurück. »Wir treffen uns in einer Stunde im Proberaum. Der Stiefvater von James holt uns und unser Equipment mit seinem Transporter ab.«
»Krass!«, sagte Colin. »Krass!« Er wiederholte das Wort mehrfach, auch als er längst aufgelegt hatte. »Hammer!«, fügte er hinzu, ebenfalls mehre Male, während er hektisch in schwarze, zerrissene
Weitere Kostenlose Bücher