SchrottT (German Edition)
misstraute. Schließlich war Misstrauen seit Jahren der Standardzustand bei jeder Art zwischenmenschlicher Beziehungen. Selbst die Naivsten hatten längst begriffen, dass sie damit besser fuhren. Nicht nur bei Bekanntschaften, die sie übers Internet geschlossen hatten, wo jeder Perverse trotz eifriger Bemühungen um einen Netzausweis im Schutz der Anonymität so tun konnte, als wäre er eine Zwölfjährige, die sich wahnsinnig für nackte Gleichaltrige interessiert.
Misstrauen war der Standardzustand. Selbst wenn man mehrmals wild miteinander rumgemacht hatte. Das bedeutete gar nichts. Das einzig Sichere in einer Welt, in der nichts vor den Sicherheitskräften sicher war, war Misstrauen.
Colin misstraute Blondy – trotz ihres treuen Gewitterwolkenblicks, der geschauspielert sein konnte wie ihr Fangirl-Geschrei am Fraport.
Colin misstraute aber auch Armin Spanisch. Einfach so. Weil es der Standardzustand zwischen zwei Menschen war. Er ergriff Blondys Hand. »Gibt es in Dortmund einen Laden, in dem man Vertrauen kaufen kann?«, fragte er, während er sich hochziehen ließ. »Wäre ne praktische Sache.«
»Manche Dinge kann man nicht kaufen«, sagte Blondy. »Das ist auch gut so. Stell dir vor, man könnte.«
»Kann ich nicht«, gab Colin zu.
»Die Händler würden ziemlich schnell ziemlich reich werden, meinst du nicht?«
»Vermutlich. Aber wo kriegt man sonst Vertrauen her?«
»Man kann es eintauschen«, sagte Blondy. »Gegen andere Dinge, die man nicht kaufen kann. Gegen Zeit zum Beispiel.«
»Okay«, sagte Colin. »Zeit haben wir, Vertrauen nicht. Hör zu … ich gehe zu dieser Verabredung, aber ich verspreche dir, dass ich niemandem vertraue, der mir dort begegnet, in Ordnung?«
Darüber dachte Blondy kurz nach. »Klingt fair«, sagte sie dann, »fairer als dein Stiefvater.«
Während die beiden langsam Richtung Busparkplatz gingen, schlichen sich die roten Engelchen der Reihe nach in Kaiser Wilhelms Nasenlöcher.
Ruhrstadt, irgendsonstig
»Die Außerirdischen muss ich mir wohl wegdenken«, sagt Verena und schlägt einen Purzelbaum. Letzteres könnte damit zusammenhängen, dass Colin sich plötzlich auf dem Boden wiederfindet. Das wiederum hat diesmal nichts mit körperlichen Sofortmaßnahmen des schrankförmigen Personals zu tun. Bestimmt ist die Schwerkraft plötzlich stärker. Hat eine Art Ausbruch. So wie Colins Schweiß. Irgendwie ist ihm neuerdings nicht nur kalt, sondern arktisch kalt, und er zittert wie der Nordpol, bloß ein paar Billionen mal schneller. Eigentlich ist das nichts Neues. Er hat sich mehrfach so mies gefühlt, seit er hier ist. Allerdings gibt es einen Unterschied. Nicht nur sein Körper zuckt. Auch sein Gehirn. Es begibt sich auf Kurztrips in alternative Realitäten, deren Existenz Colin vorher nicht bewusst gewesen ist. Hat er wirklich von Außerirdischen oder Engelchen erzählt? Er weiß, dass es keine gibt. Jedenfalls keine, die um Kaiser Wilhelms Kopf kreisen.
Aber als er davon erzählt hat, sind die geflügelten Wesen in seiner Erinnerung gewesen. In einer alternativen Erinnerung an eine alternative Welt. Real in dem einen Moment, irreal im nächsten. Wie die zuckenden Schenkel. Ruhig in dem einen Moment, auf dem Marsch einem fernen Ziel entgegen im nächsten.
Oder umgekehrt. Colin ist sich nicht ganz sicher.
Er würde jetzt wirklich gerne kotzen, damit die Pille wieder rauskommt. Aber selbst wenn deren Wirkstoffe nicht längst in seinem Körper auf Reisen wären: Er schafft es nicht zu kotzen. Hat die Kontrolle verloren. Über Schenkel. Zunge. Gedanken.
»Fühl … mich … nich … gut … fühl mich … nich … gut … würd … gern kotzen … von … ganz hinten.« Colin kann nur hoffen, dass Verena sein Lallen nicht hört.
»Ohne die Außerirdischen klingt es glaubhaft«, sagt sie unbeeindruckt.
Colins Bauchmuskeln verkrampfen sich, und er kreischt. Es geht schlicht nicht anders. Er hechelt. Sammelt Spucke, schmeckt Blut. Es fühlt sich an wie eine kräftige Sofortmaßnahme mit Stahlkappenstiefel. Wie praktisch für den Aufpassschrank, dass die Pille seinen Job übernimmt.
»Sofortmaßnahmen einstellen!«, schneidet Verenas Stimme Colins Gedanken durch. »Der Informationsträger wird noch gebraucht.«
Colin schafft es, einen Blick auf Verena zu werfen. Sie ist aufgestanden, schaut böse in eine andere Richtung. Colin kichert. Endlich mal ist nicht er das Opfer.
»Es erscheint mir kaum glaubhaft, dass Sie anscheinend gewisse
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