SchrottT (German Edition)
Schlussfolgerungen noch nicht gezogen haben«, sagt Verena.
Colin vergeht das Lächeln, denn irgendein Körperteil wird gerade von Außerirdischen entführt – er ist sich bloß nicht sicher, ob es die linke Hand ist oder der rechte Fuß. Von welchen Schlussfolgerungen Verena redet, kapiert Colin auch nicht. Wegen der Pille? Wegen der Krääääämpfe? Wegen … des Schranks?
»Schluss…folll…« Colin bricht ab. Seine Zunge möchte lieber außerhalb des Mundes auf Entdeckungsreise gehen. Sprechen kann man so nicht, und Cunnilingus ist auch gerade kein Thema.
»Also gut«, sagt Verena. Sie scheint zu überlegen, dann kommt sie zu einem Entschluss. »Assistent, schnallen Sie den Informationsträger bitte wieder auf seine Liege. Zu seiner eigenen Sicherheit ist das nötig, damit er sich nicht verletzt.«
Colin will protestieren, aber er will gerade so vieles und kann so wenig. Etwas zieht an seinen Füßen, aber seine Arme wollen in die andere Richtung. Kurz darauf riecht er Urin. Er kennt diesen Geruch. Es ist sein eigener.
Der nächste Krampf. Aber die Eisenschelle hält das Fußgelenk fest. Es scheuert. Es blutet. Colin schreit.
Nach dem Krampf ein Moment der Stille. Darin ein Flüstern. Tausend Falter, die alle dieselbe Laterne lieben. Bis die Außerirdischen kommen und mit langen Zungen zuschnappen.
Auch außerirdische Rot-Engel-Ähnliche müssen mal einen Happen essen.
Colin nicht. Colin kotzt endlich. Er bringt es fertig, den Kopf zur Seite zu drehen, damit er das Erbrochene nicht in die Luftröhre kriegt.
Die Tür knallt. Wasser in Colins Augen verhindert einen klaren Blick. Sein Sichtfeld ist ohnehin eingeschränkt, hier am Boden, auf der stahlkalten Folterliege.
Er sieht den diensthabenden Kleiderschrank nicht mehr.
Nur Verena. Die steht neben dem Schreibtisch, die eine Hand an der Tischkante, die andere hantiert mit einem weißen Taschentuch.
»Halten Sie«, hört Colin, dann muss er wieder kotzen. Danach merkt er, wie ihm jemand den Mund abwischt. Ungläubig zwinkert er die Feuchtigkeit aus den Augen. Verena.
»Mein Kollege ruft einen Arzt«, sagt Verena. »Zur Sicherheit.«
Colin hustet. Zum ersten Mal gilt dieser Zweiwortsatz zu seinen Gunsten. Sein Bauch kneift. Vielleicht bereiten irgendwelche Organe ihren Notausstieg vor. Es fühlt sich sehr endgültig an. Nach einer Notwasserung steigt auch keiner wieder zurück ins Flugzeug. Wie auch, mit den aufgepusteten Schwimmwesten …
Verena nimmt wieder Sicherheitsabstand ein. Kotzradius plus ein Meter Toleranz. Zum ersten Mal huscht so etwas wie Mitleid über ihr Gesicht. Vielleicht ist es aber nur Colins unklarer Blick, der ihm einen Streich spielt.
»Ich hoffe zu Ihren Gunsten, dass Sie nicht schauspielern«, sagt Verena. »Ich traue Ihnen nicht.« Geringschätzig verzieht sie die Mundwinkel. »Natürlich nicht. Tun Sie ja auch nicht. Haben Sie gerade erzählt. Aber Ihrem Stiefvater trauen Sie? Kaum zu glauben. Haben Sie wirklich noch nicht begriffen, was er vorhat? Mit was für Kräften er sich eingelassen hat?«
»Mit … Nigeria…« Colins Hals kratzt vom Erbrochenen. Sprechen fällt schwer, zumal die roten Engelchen jetzt auch um seinen eigenen Kopf zu kreisen scheinen. Sie tschilpen irgendwas, aber er versteht kein Wort.
»Eine erstaunliche Kombination, oder? Ein vermögender Mann spielt Golf mit Dr. Akobe, dem Polizeichef von NRW, außerdem ist er einflussreicher Pate der Cosa Nostra Deutschland GmbH und Chef mehrerer Firmen, die alle vom neuen Trend hin zu mehr Überwachung und Sicherheit profitieren.« Verena winkt mit ihrem Pad. »Und der gleiche Mann war es, der vor einigen Jahren vom … vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, weil er Mitglied einer gewissen nationalistisch gesinnten Partei war …« Die Referentin knallt ihr Pad auf den Schreibtisch. »Und sein Sohn weiß von all dem rein gar nichts und zieht mit einem wohlwollend berichtenden Medienmann durch die Republik, der auf seines Papas Gehaltsliste steht … er singt bestenfalls obskure, wenn nicht gar umstürzlerische Verse über eine sogenannte Freiheit, von der er vergisst zu erwähnen, dass sie braun angestrichen ist und nur für Arier gilt? Und neuerdings für Nigerianer? Brüder im Geiste, in nicht ganz so blonden Körpern, aber macht ja nichts, solange sie nützlich sind?« Verena fährt sich mit der Hand durch die Haare. Sie hört ziemlich schnell damit auf, als sie merkt, dass Colin sie beobachtet.
Der nimmt all seine Kraft zusammen. »Hätten Sie mir das
Weitere Kostenlose Bücher