Schubumkehr
nichts für Ungut Frau Anne zurück zum Brief äähh Sehr geehrte Herren, nun schaltete sie das Gerät ab, nahm die Tonbandkassette heraus, gab sie in ihre Handtasche, für das Arbeitsgericht!, holte den weggeworfenen Brief aus dem Papierkorb, fügte handschriftlich an den letzten getippten Satz hinzu, daß, auch wenn das Dienstverhältnis nach beinahe fünfundzwanzig Jahren ein besonders kollegiales, geradezu freundschaftliches geworden sei, sie sich nicht via Diktiergerät beleidigen lasse und daß sie kündige, dann legte sie den Brief in die Unterschriftenmappe und ging.
Daß Richard fünfzehn Jahre jünger war als sie, Früher oder später wird er sich eine Jüngere suchen, das ist bei aller Liebe ein Naturgesetz, daß er Mechaniker war, Worüber redet Ihr miteinander? Wie viele Flaschen Bier trinkt er am Tag? daß er sehr hohe Zahlungen für die Kinder aus erster Ehe zu leisten hatte, Ihr werdet nie auf einen grünen Zweig kommen, was ging Weixelbaum das an? Es war ganz alleine ihre Sache.
Wieder etwas, das zu Ende war, abgerissen, ohne daß weghängende Fäden des Vergangenen sich in den neuen Anfang einflechten würden, so war es immer wieder gewesen, plötzlich diese Wendepunkte, nach denen das, was sie vorher als ihr Leben angesehen hatte, einfach aus ihrem Leben verschwunden war oder zurückgelassen werden mußte, immer wieder diese glatten Risse in ihrer mäandernden Lebenslinie, und jedesmal ein trotziger Blick auf ihre Handfläche, die sie dann mit festem Griff um das schloß, was jetzt eben da und wichtig war. Ihre Eltern hatte sie früh verloren, ihren ersten Mann hatte sie früh verloren, aber ihren Sohn! Den hatte sie durchgebracht, und jetzt lebte er seit sieben Jahren auf einem fremden Kontinent, was er wohl sagen wird, wenn sie ihm das schreibt? Als Kind, ein Kind ohne Vater und ohne Großeltern, hatte er zu Weixelbaum Onkel Ossi gesagt, Weixelbaum war zu Roman immer – was? Nichts. Ihr Gedächtnis, das ein Album von Idealisierungen war, zeigte keine Erinnerungsbilder mehr, wenn das Licht, in dem sie das Vergangene sehen wollte, wie mit einem Schalter abgedreht wurde. In ihren Briefen an Roman Mein einziger Vertrauter!, die seine Antworten gar nicht mehr abwarteten, berichtete sie in jener hochgradigen Erregung, die man selbst als plötzliche Hellsicht, als Erleuchtung empfinden kann, die ausschließlich in die Zukunft strahlt und jeden Schritt zurück verbietet. Es war ja nicht nur Dr. Weixelbaum, der sie meschugge genannt hatte, alle ihre Bekannten und Freundinnen hatten so reagiert, als gäbe es eine geheime Übereinkunft, ihr, der lieben Anne, der guten alten Anne, geballt die dümmsten Klischees und Vorurteile vorzuführen, ihren Geist, ihre Empfindungen, ihren Körper zum Exerzierfeld dieser Vorurteile zu machen. Heilfroh, schrieb sie, könne sie sein, von diesen Menschen, sind das noch Menschen? Diese Schlangen im Wolfspelz!, die sie für Freunde!!! gehalten hatte, befreit zu sein, die die dümmsten Vorurteile an ihr exekutierten.
Richard und sie hatten zunächst beschlossen gehabt, im kleinen Kreis zu heiraten und zu feiern, nur mit den nächsten Verwandten und den besten Freunden. Am Ende heirateten sie ganz alleine, mit zwei wildfremden, auf der Straße vor dem Standesamt aufgelesenen Trauzeugen, was das Gefühl des Abenteuerlichen, des Außerordentlichen, viel mehr steigerte, als es ein Fest vermocht hätte. Lieber Romy, in diesem Moment habe ich den Trotz und die Unerbittlichkeit gegenüber der Welt, die Du mit zwanzig Jahren demonstriert hast, damals sind wir uns ein wenig fremd geworden, so gut verstanden, Du warst mir plötzlich so nahe – und wenn Du auch mitten im Semester keinen Urlaub nehmen und kommen konntest, so warst Du doch der einzige, der für mich bei unserer Hochzeit anwesend war.
Diese Hochzeit war ein Triumph. Sie heirateten ohne Altersunterschied: Sie waren zwei aufsässige Zwanzigjährige gegen den Rest der Welt.
Nun hieß sie Bauer. Das Schicksal hätte mir keinen schöneren und stimmigeren Namen zuweisen können, in Anbetracht des Vorhabens, das ich in diesem meinem neuen Lebensabschnitt verwirklichen will.
Um meinen früheren Namen ist mir nur aus einem Grund leid: Weil ich nun nicht mehr so heiße wie mein eigener Sohn. Lieber Romy, Du weißt, daß ich sehr stolz auf Dich bin, und ich spüre, daß Du eines Tages etwas Bedeutendes leisten und so großen Erfolg haben wirst, daß man von Dir in der Zeitung wird lesen können. Ich habe es mir immer so
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