Schubumkehr
diese Mischung aus starrer Angespanntheit und ruckartigen Kopf- und Handbewegungen hatte etwas verunglückt Huldvolles. Richard fragte, was denn da los sei, Ist das eine Demonstration oder was? , sagte Paß auf, geh weg herst! Ihr Gesicht wurde nun vollends schief, als sie, die Augen nach rechts auf das Spalier der Menschen richtend, gleichzeitig den grinsenden Mund nach links zu Richard verzog, um den Druck aus Verwirrung und Euphorie herauszischen zu lassen Schrei nicht so! Lächeln! Fahr ganz langsam Langsam Ricky! Wieso Demonstration? Nein, sie hatte keinen Verdacht geschöpft, sich nicht gefragt, warum so viele Menschen hier beisammenstanden, ob sie denn nichts anderes zu tun hätten, als wegen ihrer Ankunft gleich zusammenzulaufen und zu gaffen, sie hielt das für möglich, es war wie im Kino, und sie dachte Welch triumphale Ankunft! Sie dachte wirklich diese Worte. Der Möbelwagen mit ihrem Umzugsgut, der hinter ihnen fuhr, hupte ein paarmal nervös, immer wieder sprangen Leute vom Gehsteig herunter, immer wieder ging einer ein paar Schritte neben dem Chevrolet her und starrte durch die Fenster herein, um sich dann abzuwenden und kopfschüttelnd – verneinend oder erstaunt? – etwas zu den anderen, die am Straßenrand standen, zu sagen.
Sie kamen am Gemeindeamt und dann an der Kirche vorbei, schließlich fuhren sie die Straße hinunter Richtung See, da stand keiner mehr herum, Richard gab Gas, so kamen sie zu dem Haus, das sie beziehen, das sie revitalisieren wollten.
Sie hatte sich in dieses Haus auf den ersten Blick verliebt. Man wird viel hineinstecken müssen, viel Arbeit, viel Geld, die Ersparnisse, die Abfertigung. Aber der heruntergekommene, in der Substanz leidlich gut erhaltene Dreikanthof sah in ihren Augen so heimelig aus wie die Illustrationen in dem Buch Das große Buch vom Leben auf dem Lande, in dem sie jeden Tag blätterte. Sie hatte, wenn es sein mußte, einen sehr retuschierenden Blick. Was an diesem Haus unübersehbar unheimelig war, hatte sie sofort als romantisch, beziehungsweise dort, wo das Gemäuer unter dem Ansturm wildwuchernden Gesträuchs und Gestrüpps besonders arg in Mitleidenschaft gezogen war, als verwunschen empfunden, und sie wußte, sie würde dieses Haus wachküssen. Der Hof hatte einer Frau gehört, deren Mann während des letzten Krieges, im sogenannten Rußlandfeldzug, desertiert war und dann als vermißt galt. Diese Frau hatte nie die Hoffnung aufgegeben, daß ihr Mann eines Tages heimkehren werde, und in dieser Hoffnung ist sie im Lauf der Jahre wahnsinnig geworden. Täglich ist sie in der Früh nach Komprechts hinauf zur Bushaltestelle gegangen, um auf den Frühbus, abends noch einmal, um auf den Abendbus zu warten. Der Mann kam nicht mehr, eines Tages wurde ein Totenschein ausgestellt, den die Frau nicht akzeptierte, der es aber der Gemeinde ermöglichte, ihr eine Kriegsopfer-Rente zu verschaffen, von der sie lebte. Sie ließ immer größere Teile ihres Grunds verwildern, die sie nicht mehr bewirtschaften konnte, weil sie alleine war und weil sie täglich so lange bei der Bushaltestelle saß und wartete. Schließlich lagen alle ihre Äcker und Wiesen brach, die sie sich aber halsstarrig weigerte zu verpachten, damit niemand Fremder draufsaß, wenn ihr Mann eines Tages plötzlich doch aus dem Bus steigen und wieder da sein sollte. Diese völlig weitabgewandte Existenz überlebte in der kleinen Welt von Komprechts bis Anfang 1989, als die mittlerweile völlig verwahrloste und schwerkranke Frau entmündigt und in ein Pflegeheim in Peugen eingeliefert wurde. Haus und Grund wurden zur Versteigerung ausgeschrieben, und Richard und Anne hatten das Objekt zum Ausrufpreis erwerben können. Kein Bauer in der Umgebung hatte Anspruch darauf erhoben, sei es aus Aberglauben, weil sich erwiesen hatte, daß man auf diesem Hof wahnsinnig werde, sei es, weil keiner sich ein so verwildertes Stück Land noch aufhalsen wollte, während die Kinder lieber in die Fabrik arbeiten gingen oder überhaupt wegzogen. Es war ein Glücksfall, denn nach allem, was wir erfahren haben, können wir sicher sein, daß nie, zumindest nicht in den letzten dreißig Jahren, Kunstdünger in diese Erde gekommen ist.
Abladen, die Möbel und Kisten in das Haus tragen, die Möbelpacker herumdirigieren, wo sie vorläufig alles hinstellen sollen, Einheizen, das alles brauchte seine Zeit. Dennoch wollte sie dann noch einmal hinauf in den Ort, immer wieder sagte sie zu Richard Sätze, die mit Die Menschen hier
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