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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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meine Nase. Houston, wir brauchen einen Hit.
    Zurück in der Goldlaube, füttere ich die Stereoanlage mit dem neu erworbenen Fauré. Will mein Zimmer mit Pfauenschreien füllen. Will buntes Licht über mein Bett gießen. Mitten im Regenbogen schlafe ich ein.

Portwein
    An einem Mittwochmittag bastle ich das Stück für Saskia fertig. Es klingt schlichter, als es ist. Sein englischer Text ist ausgefeilt, ich kann meine Stimme daran geschmeidig reiben, phonetische Seifenschnitzereien, filigran und mundgerecht. Darunter lege ich ein komplexes Pickingmuster, meine Finger wirbeln durch die Saiten, verweben Klangfaden um Klangfaden. Ich werde ein paar Tage üben müssen, bevor es richtig läuft. Aber Saskia hört analytisch. Sie kann Sinfonien zerpflücken, ohne je ein Instrument angefasst zu haben, und besser Noten lesen als ich. Sie wird es zu schätzen wissen.
    In der nächsten Woche, nach einer Konversationsstunde zu dritt, lade ich Saskia zu einem meiner Konzerte ein. Ich drücke ihr einen pinkfarbenen Bon in die Hand, mit dem sie kostenlosen Eintritt bekommt.
    Sie begleitet mich zur Haltestelle und deutet auf drei Backsteinhäuser gegenüber. Im Dach des mittleren wohne sie, typische Studentenbude, Kochnische, Minibad. Im Hinterhof hänge immer die Wäsche einer fünfköpfigen Familie und die Kinder würden abwechselnd auf einem alten Fahrrad im Kreis fahren. Drei andere Studenten seien am Wochenende eingezogen, die habe sie noch nicht kennengelernt. Sie streicht ihr halblanges Haar hinters Ohr und verabschiedet sich. Ihre schlanke Gestalt steht eine Weile an der Ampel und verschwindet schließlich hinter einer Backsteinecke gegenüber.
    Ich erwarte, dass Saskia einen Freund oder eine Freundin mitbringen, Orangenlimonade trinken und unauffällig im Hintergrund stehen wird. Falls sie überhaupt zu einem meiner Auftritte kommt. Sie hört Musik bestimmt lieber zu Hause, wo es bequemer ist und weniger Störgeräusche gibt, wo weniger Menschen sind. Vielleicht hätte ich ihr statt der Freikarte lieber eine Studioaufnahme des Songs geben sollen. Aber wir haben erst die Hälfte der geplanten dreizehn oder vierzehn Tracks für das neue Album fertig. Es hätte zu lange gedauert. Lieber soll sie schüchtern mit ihrer Limonade in der Ecke stehen.
    Ich nehme eine verspiegelte Sonnenbrille aus meiner Tasche. Sie schillert wie Insektenaugen, orangefarben, golden und grün. Ich drehe ihre Gläser ins Licht, schiebe sie auf meine Nase. Ich strecke die Beine von mir, kaue Kaugummi. Spiele Goldkäfer für die drei Jungs, die an der Haltestelle gegenüber auftauchen. Vielleicht sind das die Studenten.
    Ich denke an das hübsche Gesicht hinter der Germanistenbrille. Ich bezweifle inzwischen, ob ich Saskia wirklich zur Freundin will. Für echte Freunde habe ich sowieso keine Zeit. Aber sie langweilt mich nicht, und ihre Sortiertheit verlockt mich, sie mir in unsortierten Verhältnissen vorzustellen. Ihre Sanftheit spornt mich beinahe an, ihr einmal unsanft zu begegnen. Ich überlege. Welche Beleidigung sie wohl am härtesten träfe. Wofür sie lebt, wer sie ist. Wie wohl ihr Hals riecht und ob sie verwirrt wäre, wenn ich daran schnüffelte. Oder ist genau das Freundschaft, ohne Verwirrung am Hals des anderen schnüffeln zu dürfen, denke ich. Mit den Augen suche ich den Dachgiebel, unter dem irgendwo ihr Zimmer sein muss. Ich habe keine Ahnung.
    Ich linse über die Gläser meiner Goldkäferbrille. Die drei Jungs gegenüber unterhalten sich. Einer raucht. Eine junge Frau im Sommerkleid studiert den Fahrplan. Der Rauchende studiert ihr Hinterteil. Außer Saskia gab es schon mindestens drei oder vier andere Frauen, deren Geruch mich interessiert hätte. Die ich gern genauer in Augenschein genommen hätte. Deren kleine Makel mich brennend interessiert hätten. Einmal überkam mich ein solcher Impuls mitten auf der Straße, bei einer wildfremden Frau. Ich folgte ihr einige hundert Schritte weit, obwohl sie nicht meinen Weg ging. Am liebsten hätte ich sie angehalten. Entschuldigung, ich möchte Sie genauer ansehen. Und vielleicht anfassen. Ihr Gesicht, Ihre Hüften und Ihre Brüste betasten. Ich frage mich, ob Frauen auch Frauen ohrfeigen.
    Die Frau im Sommerkleid ignoriert den Raucher gekonnt. Sie trägt ein Silberkettchen um den Knöchel und neongelbe Kreolen. Sogar als sie selbst in den Raucherbereich schlendert und nach ihren Zigaretten kramt, bleibt der Raucher Luft für sie. Der Junge schnippt seine Kippe weg und klemmt seine Daumen

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