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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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hinter den Gürtel. Sein Blick schweift auf die Gleise und zu mir. Bevor ich seine Miene richtig lesen kann, schiebt sich eine Stadtbahn zwischen uns.
    Hinter den getönten Scheiben herrscht gedämpftes Licht, die Stadtbahntüren schließen sich. Mit einem dumpfen Heulen werden mein Magen, meine Beine, Arme, mein ganzer Körper, und mit mir viele andere Menschen ins Stadtinnere beschleunigt, in das heiße Spätsommerloch hinein. Mein Kopf hängt noch eine Weile bei den Jungs an der Haltestelle. Das Kaugummipapier rollt als Kügelchen aus meiner Hand.
    »Geben Frauen auch Frauen Ohrfeigen?«, frage ich Saskia in der nächsten Woche.
    Der bunte Baumwollriemen meiner Tasche klebt auf meiner Schulter. Die Sonne rinnt als strahlender Honigtropfen vom Himmel. Ein Duft wie von Portwein hängt in der Luft. Saskia kramt in ihrer Hosentasche. Sie scheint nicht überrascht über meine Frage.
    »Frauen können echt fies sein. Da wird bestimmt auch geohrfeigt.«
    »Na ja«, korrigiere ich, »eigentlich meine ich was anderes. Zum Beispiel. Wenn ein Typ eine Frau anfasst und sie es nicht will, fliegt die Hand ja recht schnell in sein Gesicht. Aber wenn ich eine Frau anfassen würde, denkst du, ich würde mir genauso schnell eine fangen?«
    »Ich denke, die meisten würdest du damit so aus dem Konzept bringen, dass da nichts passiert. Was verstehst du unter anfassen?«, fügt sie nach kurzem Nachdenken hinzu.
    »Gute Frage. Vielleicht erst an der Schulter und dann an der Wange.«
    »Kann mir nicht vorstellen, dass du dir damit eine fangen würdest«, sagt sie.
    »Also eher Verwirrung?«
    »Ich denke schon«, sagt sie nachdenklich. »Sicher gibt’s welche, bei denen du dir eine fängst. Aber das Risiko, glaube ich, ist gering. Wie kommst du denn auf so was?«
    Sie sieht mich durch ihre Modebrille an, während sie fragt, wischt eine Strähne und etwas Schweiß von der Stirn. Saskia hat eine bestimmte Art, ihr Haar hinter die Ohren zu legen, mit beiden Händen gleichzeitig und sehr sorgfältig, die mich an die Ernsthaftigkeit eines Kindes erinnert, das einer ordnungsliebenden Mutter gefallen möchte. Ich schiebe als Erklärung einen Song vor, an dem ich zurzeit arbeite, was immerhin nicht komplett gelogen ist. Saskia nickt interessiert.
    »Darf ich dich auf ein Eis einladen?«, fragt sie.
    Wir gehen weiter, bis irgendwo eine bunte Markise auf die Straße hinausragt. Die Eisfahne hängt schlaff in der Sonne. Wir spazieren hinüber.
    Eine vielleicht vierzehnjährige Inderin, die eine weiße Kellnerschürze überm Sari trägt, kommt an unseren Tisch. Sie erklärt, dass die Eiskarte im Moment neu gedruckt werde, die alten Karten seien schon weg, die neuen noch nicht da, und beschreibt mit großem Engagement die verschiedenen Eisbecher. Ich beobachte die Bewegungen des schwarzen Flaums auf ihrer Oberlippe, während sie von Mandelsirup, Orangenlikör und Vanille spricht. Ihre Stimme macht kleine Hüpfer mitten im Satz.
    »Du hast einen süßen Akzent«, sage ich ihr und bestelle etwas mit Nusskrokant.
    Saskia nimmt dasselbe. Passt zu ihren Haselaugen.
    Ich stelle ihr die Fragen, die ich jedem irgendwann stelle, Kindheit, Geschwister, Liebesleben. Außerdem interessiert mich, was die Leute sich wünschen und wovon sie nachts träumen. Saskia füttert willig meine Neugier. Sie träumt von Milchseen und Bahnsteigen. Was sie sich wünscht, weiß sie nicht. Ihre Augen weiter studierend, stelle ich fest, dass das sanfte Braun völlig unbehelligt von anderen Farbsprenkeln ist, glatt und weich wie das Fell eines jungen Kaninchens.
    Ich riskiere einen überlangen Blick durch ihre Brillengläser. Will herausfinden, ob ich auf ihr glattes Nussbraun neidisch sein muss. Beginne die Sekunden zu zählen, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, nach drei Sekunden weicht Saskia aus. Ihre Augen tauchen ins Muster der Tischdecke ab. Nein. Neidisch bin ich nicht. Das Gefühl ist ein anderes.
    Saskia nimmt ihre Brille ab und massiert ihre Nase. Sie beginnt über ihren großen Bruder zu sprechen und über dessen Freundin, die auch ihre Freundin ist, und über einen Theaterschauspieler namens Christian, mit dem sie drei Monate zusammen war. Christian spiele wie ein Gott, sei aber jenseits der Bühne ein ziemlicher Hohlkopf. Sie lässt ein paar Anekdoten fallen, nach denen ich befürchte, von ihr ebenfalls irgendwann als Hohlkopf bezeichnet zu werden. Sie holt ein Passfoto aus ihrer Brieftasche. Das sei Pette, ihr bester Freund, aber Pette wohne seit drei

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