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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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die Wahrscheinlichkeit, hier draußen etwas zu finden, ebenfalls gegen null geht. Allenfalls ein Stück Butterkuchen und eine Tasse Kaffee dürften aufzutreiben sein.
    Während ich über den Hof gehe, bemerke ich einen hell gekleideten Mann, der dort herumstreunt. Über seinem sandfarbenen Hemd trägt er rote Hosenträger, Individualist, denke ich. Er nickt mir zu. Ich biege ab, betrete ein Gebäude. Unversehens stehe ich vor einem Schreibtisch im Verwaltungsgebäude.
    Der Kräutergarten hinter der großen Scheune sei sehenswert. Außerdem gebe es im ersten Stock eine Skulpturensammlung. In zwei Kilometer Entfernung liege ein Dorf, das ein Café und einen Bahnhof habe. Das sagt die Dame hinter dem Schreibtisch. Ich dürfe gern eins der Fahrräder leihen, die im Hof stehen. Ich verabschiede mich dankend von ihren dauergewellten Wipplocken.
    Den Kräutergarten hebe ich mir für später auf. Besteige stattdessen sofort ein Fahrrad, ein grünes Damenrad mit Omasattel und Dreigangschaltung.
    Das Dorfcafé hat geschlossen. Drei Bistrotische stehen in der Nachmittagssonne, fleckig, angekettet. Ein Zettel mit kindlicher Buntstiftschrift klebt im Fenster, Sommerferien steht da. Ein winziger Bahnhof ist gleich gegenüber, sein Fahrplan passt auf eine einzige Seite Papier. Nachdem ich ihn auswendig gelernt habe, lehne ich mich an einen Laternenpfahl, atme, blinzle. Die Schienenstränge strahlen Wärme ab. Auf ihren polierten Oberseiten gleißt die Sonne, die dunklen Holzschwellen darunter verbreiten einen kräftigen Geruch. Ich schließe die Augen, lecke Teer und Eisen aus der Luft, bis die roten Regionalbahnwagen heranruckeln.
    Auch in der nächstgrößeren Stadt sind Toastscheiben und Rührei nur eine merkwürdige Masse, die ich meinen Hals hinunterwürgen soll. Ich sitze in einem Café, und die Sonne sinkt. Gäste kommen und Gäste gehen. Das Rührei wird kalt. Ich bestelle Tomatensaft. Trinken erscheint mir um ein Haar weniger sinnlos als essen.
    Auf einmal steht der Mann mit den roten Hosenträgern an meinem Tisch. Er stellt sich vor, Oliver, Halbamerikaner und Dichter. Er hat graues Haar, obwohl er allenfalls dreißig ist. Er komme öfter in die Stadt. Sonst würde er die sechs Monate im Künstlerkaff nicht überleben. Er lacht.
    »Setz dich«, höre ich mich sagen.
    Er nimmt die Einladung dankend an. Er schiebt sich breitbeinig auf einen der gelben Klappstühle. Er schenkt sich von meinem Kaffee in die Tasse, aus der zuvor ich getrunken habe, rührt drei Stück Zucker mit hinein. Ich lausche dem Klickern des Löffels, bis es verstummt, bis nur noch die Espressomaschine und das Plappern vorbeilaufender Passanten zu hören sind.
    »Milch?«, frage ich.
    Er schaut mich an, als hätte ich ihn aus tiefen Gedanken gerissen. Beginnt langsam zu nicken. Erst als ich Milch in seine Tasse schütte, sehe ich, wie sehr das schwarze Getränk noch in Aufruhr ist. Auch als die Oberfläche längst still liegt, dreht und dreht sich das Kaffeekarussell weiter. Die weiße Flüssigkeit mischt sich wie eine Wirbelwolke unter die schwarze Flüssigkeit.
    Plötzlich ist mein Appetit zurück, ich esse mein kaltes Rührei. Oliver bestellt sich Bruschette und gibt mir eine ab.
    »Für den Kaffee«, sagt er.
    Wir unterhalten uns über Tomatensaft, amerikanische Diners und über seine grauen Haare. Ich frage ihn, ob seine Ausflüge in die Stadt Fluchten seien, vor den anderen Künstlern, vor der Arbeit, vor den eigenen Ideen. Ich frage ihn, was eine Schreibblockade ist. Ob er manchmal auch blaue Hosenträger trage. Ob er religiös sei.
    »Du stellst komische Fragen«, sagt er.
    Später sagt Oliver, er werde noch ein paar Leute treffen, zieht weiter, und ich beeile mich, den letzten Zug zurück in das Dorf zu kriegen. Beim Anfahren lehne ich meine Schulter an die trübe Fensterscheibe. Die Welt setzt sich in Bewegung, ein Hotel, bunte Kioske, vier mondgroße Bahnhofsuhren schieben sich in die Ferne. Ich sehe Kanäle, Betriebshallen von hinten, einen großen Schrottplatz. Dann rauscht der Zug hinaus aufs Land. In einem Vorort halten wir, mein Blick fällt über einen grünen Lattenzaun hinweg ins Innere eines Hauses, eine Terrassentür gibt gerade die Sicht auf einen Stuhl und die Beine eines Mannes frei. Er steht auf der Sitzfläche. Tauscht vielleicht eine Glühbirne. Ringsum saubere Fassaden, gepflegte Gärten, Kinderplanschbecken. Der Zug fährt an, der Stuhl kippt um, die Beine des Mannes baumeln hilflos in der Luft. Treten ins Leere.

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