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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Mäppchen, falte das Papier. Ich muss schlafen. Das Handtuch werfe ich übers Bettende. Lasse warmes Wasser über meine Handgelenke rinnen. Wasche meine Füße. Dann und wann quellen noch Tropfen aus meinem Haaransatz, kitzeln mich. Keine Raben, denke ich, keine Raben, keine Prinzen, keine Briefe. Ich starre dem Leben ins Gesicht. Aus dem Spiegel starrt es zurück, ein kleines Adelsgesicht, nass, blass und hart.

Stachelbeeren
    Ich wache am Rand eines Moores im Birkenschatten auf. Ein grüner Schillerkäfer pendelt in mein Sichtfeld. Ich pflücke ihn von seinem Grashalm. Er umkrallt meinen Finger, sein Goldgrün wie ein Schmuckstück auf meiner Haut. Er klettert an die Spitze meines Fingers, ganz langsam, und pumpt sich voll, nimmt sich alle Zeit, die er braucht. Mit einem tiefen Brummen fliegt er davon.
    Ich höre Schritte. Bald darauf sieht Oliver mich an, von oben, mit einem diebischen Grinsen.
    »Wohl gut geschlafen«, sagt er und hält mir eine Handvoll Stachelbeeren hin.
    Es ist der Vormittag des Tages, an dem der Bassmann und ich für die Künstler spielen werden. Der Bassmann selbst hat vorgeschlagen, sich erst nachmittags zu treffen, den Morgen in der Sonne zu verbringen. Er liegt nur wenige Meter entfernt im Gras und liest eine Biografie von McCartney.
    Trotz Birkenschattenschlaf und Thermoskannentee, trotz meines Wissens um ein verhältnismäßig kleines Publikum heute Abend fühle ich, dass das Lampenfieber sich anschleicht, wie immer. Es breitet sich in meiner Magengegend aus. Auch die Stachelbeeren richten da nichts aus.
    Später, als ich meine Nägel neu lackiert habe, purpurrot, mich umgezogen, Jeans, Millefleursbluse, und in den Probenraum gehen will, mich warmspielen, rufst du an.
    »Hast du auch heute Nacht noch Zeit?«, frage ich.
    Deine Stimme klingt rau. Wir schweigen mehr, als wir reden. Verabreden uns schließlich für ein Nachtgespräch.
    Um Mitternacht stehle ich mich weg. Lasse den Bassmann, die anerkennenden Blicke, mein Wasserglas und Olivers schwelgendes Weingesicht zurück. Ich pflücke ein paar Klammern aus meinem Haar. Ich war gut. Endlich wieder gut. Der Bassmann ist zufrieden. Selbst die Götter wären zufrieden gewesen, denke ich, als ich zum Schlafhaus hinübertrabe und einen fröstelnden Blick in die Sterne werfe.
    Dein Anruf kommt keine drei Minuten später.
    Eigentlich wollte ich dich über den Sommertag beschwärmen, über Goldkäfer, Stachelbeeren, Birkenrauschen, über Musik und meine Begeisterung fürs Leben, die nach gelungenen Auftritten immer am größten ist. Über Dichterlob und Künstlerhöfe. Darüber, dass das Wetter nichts Banales ist. Über Götterglück.
    Aber das Gespräch trudelt rasch auf Damla zu. Ein kalter Schauer rieselt durch meinen Körper, überrinnt die Begeisterung, kühlt sie auf Normaltemperatur herunter, bleibt dann liegen. Eine dünne Schicht Ernüchterung, die binnen Sekunden erstarrt. Ich stehe in der Mitte des kleinen Zimmers, lausche in den Hörer. Du seist auf dem Balkon, sagst du, und Damla liege zwei Zimmer weiter und schlafe. Du habest ihr gesagt, dass ich übermorgen wieder im Lande sei. Dass du entschlossen seist, mich wiederzusehen. Sie habe es diesmal mit Fassung getragen, sagst du lachend, dann plötzlich nicht mehr lachend. Ich höre deinen Atem. Er ist schwerer als sonst.
    »Ich weiß nicht, was ich mehr vermisse, das Alleinsein oder dich«, sagst du nach einer Pause.
    »Wie meinst du das?«
    »Damla übernachtet ziemlich oft hier.«
    Ich lasse mich in den Schneidersitz sinken. Falte meine Flügel. Bin selbstgenügsam, ein Schmetterling, ein Nachtfalter, sage ich mir, der außer seinen Blüten nicht viel braucht. Damla braucht Input, braucht den baumelnden Wollfaden deiner Aufmerksamkeit. Ich will nur mich brauchen. Mache mir selbst Komplimente, Moornixe, Purpurfalter, Millefleursmarie.
    »Aber du willst sie ja.«
    »Ich will sie.«
    »Auf Dauer? Ist das dein Leben?«
    »Nein«, sagst du.
    »Wieso machst du es dann?«
    Ich höre, wie du Luft einsaugst, den Hörer so fest packst, dass es knackt.
    »Willst du Blaum? Auf Dauer? Seine Dinnerpartys? Businesswelt mit Stock im Arsch?«
    Ich atme aus, was du eingeatmet hast, meine Stirn sinkt aufs Knie.
    »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Nein.«
    »Also. Könnte ich dich genauso fragen.«
    »Aber du bist nicht ich«, sage ich vorsichtig, nachdem ich deine Antwort abgewogen, ihr Gewicht für zu leicht befunden habe.
    »Ach ja, Mademoiselle«, deine Stimme fliegt im hohen Bogen auf

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