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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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jemanden.
    Die Sonne bricht durch die Wolken. Durch einen goldenen Mückenschwarm hindurch überquere ich den Bach. Die Luft riecht nach Freibad, nach Flipflopgummi. Nach Pappbecherkaffee, nach dir, nach der fixen Idee von heute Morgen. Ich beginne zu laufen.

Dschungelfalter
    Wie immer, wenn wir eine Brücke überqueren, bleiben wir in der Mitte stehen. Ich stelle meine Füße zwischen die Geländersprossen und lehne mich über den Fluss hinaus. Heute ist er milchgrün, wie Gletschereis oder Pfefferminzglasur, täuscht Gebirgsnähe vor. Bis ich zwölf Jahre alt war, hatte ich die Berge nicht einmal gesehen. Vielleicht ist ein Unwetter flussaufwärts für die kalte Farbe des Flusses verantwortlich. Ich vermisse seine goldene Tiefe, sein dunkles Sommergrün. Morgen oder übermorgen, sagst du, sei es bestimmt zurück. Dein Haar ist lang geworden, es berührt beinah deine Schultern, wenn sich nicht gerade der Wind in den schwarzen Strähnen zu schaffen macht. Um die Augen frei zu bekommen, schüttelst du den Kopf.
    »Du warst bei Damla?«, fragst du.
    »Sie hat dich angerufen?«
    »Sie hat mich gleich angerufen.«
    »Ich scheine ja Eindruck gemacht zu haben.«
    »Das kannst du laut sagen. Sie war ganz außer sich.«
    »Ich habe nur was eingekauft. Wollte mal den Laden sehen. War neugierig.«
    Du lachst. Tippst meinen Handrücken an. Mein Blick bleibt an deinen sehnigen Fingern hängen, ich hatte vergessen, wie groß deine Hände sind.
    »Wohin?«, fragst du.
    »Da lang«, sage ich und springe von den Sprossen des Brückengeländers.
    Wir gehen im Menschengewimmel unter, in der Fußgängerzone, tun so, als wären wir eins der tausend Paare, die hier nach Staubsaugern, Kaffeemaschinen und Doppelbetten suchen.
    »Warte mal«, sage ich, als wir an einer Nebengasse voller Nachtclubs vorbeikommen.
    Hier ist alles verrammelt, die Läden machen erst gegen zehn Uhr abends auf. Ich finde den Hintereingang desjenigen Clubs, den Borg mir beschrieben hat, klingle. Komm rein, sagt eine Mittvierzigerin mit violettem Lidschatten und nimmt mir die zwei Stofftiere ab. Zwei glattrasierte Typen sitzen an der Bar. Denen reicht die Lidschattenfrau die beiden Plüschhasen. Weiter hinten stehen zwei weitere Männer. Die Typen an der Bar reißen die Stofftiere auf, prüfende Blicke, schließlich nicken sie. Ich bin froh, es hinter mir zu haben, die letzten diesen Monat, und laufe zurück zu dir. Auf deine Fragen antworte ich mit harmlosen Antworten. Gehe kein Risiko ein. Arm in Arm schlendern wir zurück in die Fußgängerzone, die Menschenmassen sind weiter angeschwollen, Feierabend, Hochbetrieb.
    Schließlich nehmen wir Zuflucht in einem Café. Seine Kunstledersessel haben dieselbe schmutzige Türkisfarbe wie der Fluss. Ich bestelle eine Bloody Mary. Du auch.
    Die Tür des Cafés steht halb offen, in ihr spiegelt sich das Leben draußen, zumindest die untere Hälfte davon. Rote Stöckelschuhe, blaue Hosenbeine spazieren die Straße entlang, Hunde und Kinder trapsen vorüber, mit baumelnden Schnüffelköpfen, mit Spielzeug, das auf dem Gehweg schleift. Ich beobachte alles. Eine Frage stemmt sich in mir auf, legt sich wie eine Zeltplane über den Rest meiner Gedanken. Wenn die Spiegelung in dieser Tür alles wäre, was ich fortan sehen dürfte, mein ganzes Leben lang, ob es genügen würde, denke ich, die Welt in einer Spiegelung, als winziger Teil ihrer selbst. Wie viel Detail ich wohl über die Zeit hinweg in dieser Spiegelung entdecken würde, frage ich mich weiter.
    Erst als unsere Bloody Marys kommen, kann ich mich von der spiegelnden Glastür loseisen. Du nimmst einen Schluck und nennst mich ein verrücktes Ding. Eine Pfefferstute. Ein Kapriolenkind. Du bist der Einzige, der manchmal so redet, wie ich denke.
    Gegenüber sitzt ein junger Mann und starrt uns an. Immer wieder klettern seine Augen an unseren Beinen hoch. Er ist einer der Jungen, die fraglos attraktiv sind, sich jedoch mit der Unsicherheit junger Vögel durch die Welt bewegen. Und wie Vögel beginnen, sich verlegen zu putzen, wenn man sie zu lange anstarrt, beginnt er mit seinen Schlüsseln zu spielen, als du sein Taxieren erwiderst. Er würde in meine Sammlung komischer Käuze passen, vor allem, denke ich, wenn er mal zehn Jahre älter ist. Wenn das Leben ein paar Kerben in ihn geschlagen hat.
    »Entschuldigung«, sagt er irgendwann und kichert.
    Er zieht einen Pappschuber aus seiner Umhängetasche, der an einen Luftpostbrief erinnert.
    »Ich finde das total witzig. Die habe

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