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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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gewartet. Wir schweben durch die Clubräume wie zwei frischgebackene Geister durch ihr Schloss. Alles ist altbekannt, um uns Gefolgschaft, Getreue, alte Freunde, aber sie erkennen uns nicht, jetzt, wo wir tot sind. Ich möchte jeden Einzelnen umarmen, an mich drücken, flüstern, dass ich wieder hier bin. Sicher wären die Clubbesucher nur verwirrt.
    Mir fällt auf, dass heute eine jener Nächte ist, in denen alle Menschen schön aussehen. Der Mann, der mir entgegenkommt, hat Rehaugen und die Silhouette eines Gentlemans. Im Vorbeigehen tippt er seinen imaginären Hut an. Ein androgynes Wesen lümmelt auf der Treppe, streckt seiner blonden Gesprächspartnerin schlanke Beine und scharf umrissene Wangenknochen entgegen. Im Lächeln des Barchefs steckt heute eine kantige Wildheit, eine dunkle Lebenslust, ein ständiges Luchsen. Die Studentin an der Garderobe dagegen hat Augen wie Sommerhimmel, strahlt damit die Gäste an.
    Ob auch wir heute schön sind, frage ich mich. Oder von welcher Art unsere Schönheit sein könnte. Vielleicht ist es die Gespensterschönheit zweier transparenter Schmetterlinge. Ein grauhaariger Mann mustert uns. Der könnte es mir eventuell sagen. Bis vor kurzem hielt ich deine Hand, irrlichterndes Geistergespann, totes Prinzenpaar, denke ich. Weil ein Track beginnt, der spannend klingt, segle ich hinüber auf die Tanzfläche. Du lässt dich in ein Clubsofa fallen. Ich spüre, dass der Blick des Grauhaarigen mir folgt.
    Schon der übernächste Track weht mich zurück zu dir. Die Lederkissen knarren und knautschen.
    »Meine venezianische Kurtisane, mein Fuchsfohlen, meine süße Schwester«, murmelst du in mein Ohr.
    Das letzte Wort lässt mich aufhorchen. Als wenig später dein Kopf in meinen Schoß sinkt, über uns ein Glaskasten voller grüner und goldbrauner Dschungelfalter, taste ich heimlich deine Rippen nach Brüchen ab. Ich suche nach dem Riss, den ein verkohlter Balken in deinen Schädel geschlagen hat. Von der Bar her riecht es nach Zitronensaft, Kerzen und Rum. Natürlich ist da nichts, kein Ruß, kein Blut, nur ein Rest vom Seesand in deinem Haar. Der Blick des Grauhaarigen hält uns fest.

Stehfrühstück
    Ich erwache in deinem Bett. Von irgendwoher sickert Sonnenlicht. Durch einen Staubschleier, den ich mir vielleicht nur einbilde, tripple ich ins Bad. Mit beiden Händen schöpfe ich Wasser in mein Gesicht. Reinige und trockne es. Dann krieche ich zurück ins Bett.
    Du liegst da und schnarchst. Du siehst aus, als hättest du im Schlaf fünf osmanische Heere besiegt. Für ein paar Sekunden schlägst du die Augen auf. Du hättest viel geträumt, sagst du, Reitpferde, Koppeln. Aber bevor du dein Nachtabenteuer zu Ende erzählen kannst, nestelst du den Kopf an meine Schulter und schläfst wieder ein.
    Auch ich habe geträumt. Der Traum handelte vom Haus meiner Eltern. Es stand kurz vorm Einsturz. Mächtige Risse durchzogen die Wände. Alle Böden waren schief, und nicht jede Treppenstufe trug meine Schritte, als ich nach draußen floh. Im Traum weinte ich, halb aus Angst, beim Einsturz begraben zu werden, halb aus Erleichterung. Ich hastete unter brechenden Balken und rieselndem Putz hindurch. Und obwohl ich wusste, dass es mich mein Leben kosten könnte, fühlte ich mich unendlich befreit, dieses Haus in Schutt und Asche fallen zu sehen.
    Als ich erneut erwache, riecht die Luft nach Vanillezucker. Ein Fenster ist geöffnet. Deine Finger kreisen auf meiner Haut. Zentimeter für Zentimeter spreize ich die Beine. Ich frage nach deinen Träumen. Du erinnerst dich nur an Reste davon.
    Später, mir wird flau vom vielen Liegen, ein unbändiger Bewegungsdrang macht sich breit, klettere ich auf die Balustrade des Balkons und rauche einen Zigarillo auf die Stadt hinab. Unten auf der Straße wandern die Schatten eiliger Frauen vorbei. Ein Auto gondelt mit laut aufgedrehter Musik um den Block. Vielleicht einer der letzten Sommertage, plärrt der Sprecher im Autoradio über die Musik hinweg, bevor das Auto hinter einem Obstlaster verschwindet. Eine der Frauen lässt eine Einkaufstüte fallen, flucht in einer fremden Sprache.
    Schließlich schleife ich dich an den Beinen aus dem Bett, was mich einige Mühe kostet. Lachend und mitsamt beiden Bettdecken gleitest du auf den Boden. Wir tappen in die Küche, kochen Kaffee, lehnen in verschiedenen Ecken, am Türrahmen, am Geschirrspüler, am Fensterbrett, und stecken unsere Traumköpfe in deinen Kühlschrank.
    Eier gibt es, Honigmelone und Milch. Wir

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