Schützenkönig
Ist ja auch ganz schön machomäßig hier!« Die Männer im Raum grinsten. Sie redete weiter: »Ist sie eigentlich bekannt als kämpferische und aggressive Emanze?«
Alex schüttelte den Kopf und kraulte sich im Vollbart. »Eben überhaupt nicht. Die Frau war bis vor ein paar Wochen total unauffällig. Eine brave Hausfrau um die fünfzig. Eine gar nicht mal hässliche dazu, hat sich gut gehalten. Muss früher so eine kleine Dorfschönheit gewesen sein, drüben in Westbevern. Dass ausgerechnet sie ihren Mann erst mit ihrem komischen Schießwunsch so lächerlich macht und dann noch durchdreht, damit hätte hier keiner gerechnet.«
»Ich dachte, das größte Problem sei der Beinahe-Amoklauf – was ist denn dagegen schon ein bisschen Lächerlichkeit?«
»Doch, doch, das war auch schon hart. Denn der gute Ferdinand, also ihr Mann, wollte doch selber unbedingt König werden. Im letzten Jahr hätte es beinahe geklappt, aber da gab es einen Konkurrenten. Dass ihm jetzt ausgerechnet seine eigene Frau in die Quere kommen wollte, war schon fies.«
»Wollte sie ihn denn vorführen, hatten die beiden Streit?«
»Keine Ahnung, das ist …«
»Privatsache«, ergänzte Viktoria und lächelte sanftmütig. »Also ihr Reporter hier seid wirklich anständig.«
Eine gut erhaltene Hausfrau, die ihren Mann demütigte und dann durchknallte: Die Geschichte wurde immer spannender, und Viktoria freute sich schon fast auf ihr Treffen mit Elisabeth Upphoff.
»Und was hat das mit dem Vereinslogo auf sich?«
Der kahlköpfige Kollege zuckte mit den Schultern. »Was denn für ein Logo?«
»Na, der Biber. Was bedeutet der?« Viktoria tat so, als interessiere die Antwort kaum.
»Nix. Ist halt der Biber von der Bever. Dem Fluss, der durch Westbevern fließt. Aus Bever wurde Biber …«
»Ach und deshalb auch WestBEVERN.«
»Bingo! Und: Ostbevern.«
Mario schaute auf und lachte. »Ich fass es nicht. Ist ja wie in Berlin hier. Westbevern, Ostbevern. Wo war denn eure Mauer?«
»Nur in den Köpfen«, erwiderte Vollbart. Und alle vier Reporter lächelten.
4. Kapitel
Viktoria schlug ihr Notizbuch zu und steckte mal wieder einen geliehenen Kuli ein. Jetzt interessierte sie etwas anderes. Der Zeitpunkt war günstig. Mario war draußen zum Zigarettenholen, Kollege Clausener plauderte im Empfangsbereich mit dem Postboten, und Alex Ebelt nuschelte am Telefon offensichtlich mit einem Fußballtrainer, es ging um Aufstellungen, Namen wurden genannt, kleine Wertungen abgegeben, gelacht. Sie ließ ihren Blick über die Jahreszahlen auf den archivierten Zeitungsbänden schweifen, die fein säuberlich sortiert in einem XXL-Regal standen.
»Kann ich mal?«, fragte sie Richtung Alex. Der nickte kurz und sprach weiter in den Telefonhörer. Viktoria griff nach dem graubraunen großen Band mit der Jahreszahl 1976.
Es dauerte nur ein paar Minuten, und sie hatte den Artikel schon gefunden. Die Hauptzeile war: Bernie I. ist neuer König. Unterzeile: Bernhard Lütkehaus traf am besten . Wahnsinns-Headline, dachte sie und schrieb den Namen auf. Es folgten endlose hundertzwanzig Zeilen über den genauen Ablauf des Festes. Uhrzeiten, Programmpunkte, Danksagungen. Beim dreihundertsechsundvierzigsten Schuss hatte der gute Bernhard, so stand es gleich im Einstieg des Textes, den Adler von der Stange geholt, der Rest war Blabla. Keine dramatische Schilderung des Schießwettstreits, keine Zitate, keine privaten Details. Langweilig. Das Foto zeigte Lütkehaus breit grinsend neben einer schmalen, blassen Frau, die offensichtlich ein paar Jährchen älter war als er. Ihn schätzte sie auf Ende zwanzig, sie auf glatte vierzig.
Unter dem Bild stand: »Freut sich: Das neue Königspaar Bernhard Lütkehaus und seine Gattin Martha.«
Viktoria umkringelte mit dem Kugelschreiber »Lütkehaus« und legte das schwere Archivbuch auf den Kopierer. Vollbart bekam nichts mit, und ihr war es nur recht. Sie nahm die Kopie vom Artikel und schrieb so leserlich wie es ging darunter: »Charly! Kriegste was über diesen Typen raus? Wäre toll, Victory.« Dann schob sie das Blatt unauffällig in das Faxgerät, das auf der Fensterbank neben der Kaffeemaschine stand. Mmm, lecker! Farbtoner neben Kaffeepulver, dachte Viktoria und tippte die Nummer des Express ins Gerät. Axel schaute kurz auf, schrieb dann aber weiter Fußballergebnisse mit.
Viktoria wollte gerade das durchgelaufene Papier zerreißen, da legte Alex mit einem »Bis die Tage« den Hörer auf und nuschelte: »Lütkehaus?«
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