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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Maries Stimme wurde wackelig. »Komm mit, und sie hat endlich einen richtigen Vater.«
    »Marie!« Bernhards Stimme wurde lauter.
    »Um 5.36 Uhr! Du kannst entscheiden.«
    »Ich … ich kann das nicht entscheiden. Nicht jetzt, einfach so. Ich kann nicht.«
    »Denk darüber nach. Du hast es in der Hand. Bist du morgen früh nicht da, wird Viktoria dich vergessen müssen. Denn dann bist du für mich gestorben – und damit auch für sie.«
    Viktoria kam mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zugelaufen. Die Zöpfe flogen, sie lachte, sie fiel Bernhard um den Hals und rief: »Die Enten machen Purzelbaum im Wasser.«
    Bernhard strich ihr mit seiner Hand über den Rücken und sagte. »Prima, meine Kleine. Das ist ganz prima!« Ihre Haare kitzelten sein Kinn.
    »Bernie! Nicht so doll drücken.« Viktoria kicherte. »Dann krieg ich keine Luft mehr und kipp um.«
    Bernhard ließ sie los. »Ich weiß. Ich krieg auch keine Luft mehr.« Dann ging er. Als er den Wagen aufschloss, hörte er noch die Stimme seiner Tochter. Sie weinte und rief: »Mama, sag Bernie, er soll nicht weggehen. Er soll hierbleiben. Bei mir und den Enten.« Er startete den Motor und fuhr los. Die Sicht war schlecht – doch für tränennasse Augen gab es keine Scheibenwischer.

20. Kapitel
     
    Elisabeth Upphoff ertappte sich selbst dabei, dass sie fröhlich war. Sie wusste schon gar nicht mehr, wie sich das anfühlte. Ist wohl wie beim Fahrradfahren, dachte sie, das verlernt man auch nie. Sie grinste. Nicht verbittert, nicht zynisch, nein ehrlich gut gelaunt war sie. Sie konnte es nicht vor sich selbst verbergen, der Tanz mit dem komischen Vogel aus Berlin machte ihr Spaß. Nicht, dass er ein guter Tänzer war, er war eher ein begabter Flummi. Nein, es war die Musik, die sie trug, die sie leichter machte, die sie endlich einmal das ganze Elend vergessen ließ. Es war das verschmitzte Lächeln gewesen, mit dem er sie gefragt hatte, ob sie nicht im Hofstaat an seiner Seite sitzen wollte. Verschwörerisch hatte er ihr ins Ohr geflüstert: »Klaus würde sich sicher nicht freuen, wenn Sie Ja sagen und nun doch Schützenkönigin würden.« Sie hatte einfach nicken müssen, hatte das dämliche Gesicht von Kotz-Klaus gesehen, und jetzt tanzte sie und spürte endlich wieder sich selbst.
    Die Gewehre lagen im Kofferraum ihres mintgrünen Corsas. Sie hatte die alte karierte Picknickdecke darüber gelegt und dieses Mal die Munition nicht vergessen. Ferdinand ist aber auch wirklich nachlässig, hatte sie gedacht, als sie die Schachteln direkt neben den Waffen entdeckt hatte. Der Corsa stand am Wegesrand gleich neben den Ponyreitern. Auch heute Nacht würde er dort stehen. Gut versteckt hinter einer Hecke. Niemand vom Schützenball wird sehen können, wie sie die Heckklappe öffnen wird. Sie wird durch die Nacht schleichen und dann ins Licht treten. Dieses Mal nüchtern und kühl und mit einer guten Absicht. Sie würde Klaus erst in die Knie zwingen, dann würde sie ihm eines ihrer Gewehre geben. Die Büchse. »Erschieß mich!«, würde sie ihm ins Ohr flüstern. Ganz leise, aber ganz bestimmt. Wenn er sich weigerte, würde sie ihm aus der anderen Waffe eine Ladung Schrot ins Gesicht feuern. Das würde sie ihm sagen. Und das würde sie allen sagen. Ferdinand würde es hören. Und sie würde sich, kurz bevor Klaus abdrückt, noch einmal zu ihm umdrehen und sagen: »Jetzt bist du mich endlich los.« Bumm!
    Ein Stuhl krachte auf den Holzboden. Mario hatte zu wild getanzt. Er schrie auf und hielt sich sein Schienbein. Elisabeth musste lachen. Sie hatte schon öfter gelesen, dass viele Menschen vor ihrem sicheren Tod gelöst und fröhlich gewesen sein sollen. Wer hätte gedacht, dass sie wohl auch zu dieser Spezies gehörte?
    Mario hüpfte immer noch auf einem Bein und wankte bedrohlich hin und her. Dann ging er zu Boden. Applaus von der Theke, Lachen von den benachbarten Mittänzern und ein Tusch von der Band. Alle sahen auf den langhaarigen Schützenkönig und Elisabeth, doch nur sie sah etwas Kleines, Rundes über das Parkett rollen. Sie bückte sich, hob es auf und erkannte eine schwarze Filmdose, daneben lag ein karierter Zettel. »Hier, Herr Siewers. Den Film brauchen Sie sicher noch.« Mario lachte. Er saß inzwischen auf seinem Hintern und schüttelte seine Haare. »Erst mal, ich bin Mario. Schließlich sind wir jetzt ein Königspaar, meine Liebe. Und zweitens habe ich das letzte Mal vor einer Million Jahren mit einem Film fotografiert. Digital, you know?«

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